Die Blüte des Eukalyptus
Weißen nannten ihn Samstag. Aber erwähne diese Namen bloß nicht vor Nerida, es schmerzt sie zu sehr. Die Namen toter Schwarzer sind tabu.«
Keziah nickte. »In meinem Volk ist es genauso.«
Als Keziah und Jake mit Gabriel aus dem Haus traten, saß Nerida bereits mit dem geschniegelten, ernsten Murphy auf dem Schoß im Pferdewagen.
»Ich stecke mir unterwegs noch das Haar hoch.«
Jake warf einen Blick auf Keziahs Haar, das wild um ihren Kopf flatterte. »Sei nicht albern. So siehst du wenigstens halbwegs anständig aus.«
Er grinste und duckte sich vor ihrer Handtasche.
Als Keziah den Gemeindesaal von Bolthole Valley betrat, saßen die örtlichen Siedler nebeneinander in einer Reihe wie schwarze Krähen auf einem Zaun. Die Frauen trugen ihre besten Hüte und Schals zur Schau. Die Männer repräsentierten alle Sprossen der gesellschaftlichen Leiter und waren entsprechend gekleidet, von feinen Anzügen bis zu den ausgefallensten Arbeitsklamotten. Ihre Gesichter zeigten die ganze Palette der aktuellen Haarmode: Vollbärte, Backenbärte und Schnurrbärte.
Keziah fiel auf, dass Jake zu den wenigen jungen Männern gehörte, die rasiert waren. Komisch, seit einiger Zeit geht er nicht mehr unrasiert aus dem Haus .
Sie wusste, dass die meisten erschienen waren, um für die Petition
zu stimmen, weil sie Angst vor einer Revolte der Strafgefangenen hatten. Für andere war die Versammlung ein gesellschaftliches Ereignis, das sie sich nicht entgehen lassen wollten. Die Luft knisterte vor Spannung.
Jake wartete, bis die Sitzung eröffnet war, ehe er sie und Nerida geschickt in die hinterste Sitzreihe neben der Tür bugsierte, damit Nerida, die ihr Gesicht unter der Haube versteckte, nicht auffiel. Keziah, die wie Nerida ihr Kind auf dem Schoß hatte, hörte dem Redner aufmerksam zu.
Terence Ogdens unverwechselbar kornischer Akzent, seine aufrechte Haltung und der würdevolle, graue Bart wiesen ihn als Menschen aus, der von Natur dazu befähigt war, über das Leben anderer zu bestimmen – ganz gleich, ob es sich um freie Bürger oder Strafgefangene handelte. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er Icelys Forderung nach mehr Schutz vor Buschräubern unterstützte, las anschließend die Namen jener vor, die seine Petition unterschrieben hatten, und forderte alle Anwesenden auf, es ihnen gleichzutun. Für seine Rede erhielt er spontanen Beifall.
Der nächste Redner hatte das Feuer eines Baptistenpredigers. Jeder Satz wurde von der Menschenmenge mit Zustimmung quittiert. Keziah rechnete schon mit lauter Hallelujas.
»Gouverneur Gipps muss auf die Stimme des Volkes hören. Wir brauchen das Kriegsrecht, um die Buschräuber daran zu hindern, die Gemeinden zu erpressen, die wir mit unserem Schweiß und unserem Blut aufgebaut haben. Wir brauchen dringend mehr berittene Trooper. In diesem entlegensten Teil des Empires Ihrer Majestät müssen Recht und Ordnung wiederhergestellt werden. Wir müssen diese gottlosen Desperados zur Strecke bringen. Wir brauchen einen Bezirksrichter, der Schurken wie den Einäugigen, den Schwadroneur oder den Zigeuner Gem Smith an den Galgen bringt!«
Es folgte stürmischer Beifall. Nur mit Mühe konnte Keziah ihre Wut in Zaum halten. Sie wollte Gem verteidigen, aber sie musste die ehrbare Dame spielen, um Gabriel zu schützen. Sie
drückte den Kopf des schlafenden Jungen an ihre Brust und kämpfte gegen ihre Verwirrung an. Wenn vor dem nächsten Vollmond kein Wunder geschah, wäre sie vor dem Gesetz Daniel Brownes Frau. War sie ehrlich, was die Begründung für ihre Einwilligung in die Ehe anging? Vorrangig hatte sie es getan, um Gabriel vor dem Anspruch der Morgans zu schützen. Aber was hielt sie in Ironbark wirklich? Verriet sie ihre Roma-Traditionen, indem sie Sarannas Identität annahm? Oder blieb sie, weil sie zum ersten Mal im Leben in den Augen der gaujo Anerkennung gefunden hatte?
Sie musste sich dringend jemandem anvertrauen, bevor es zu spät war.
Als sie sich in diesem Augenblick im Saal umsah, war es, als sei ein unsichtbares Rädchen, das bislang ihr Leben kontrolliert hatte, plötzlich umgestellt worden. Jetzt befand sie sich auf einem völlig anderen Weg. Jake lehnte mit dem Rücken an der Wand, den Blick auf Ogden und seine Anhänger aus der herrschenden Klasse gerichtet. Seine Züge zeichneten sich im Licht der Wandlampe deutlich ab. Es war, als sähe sie ihn zum ersten Mal. In seinem Profil erkannte sie Stärke, Humor und eine gewisse Arroganz, hinter der er seine
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