Die Blutgabe - Roman
voneinander tranken. So war das also. Das verbotene Blut. Immer wieder vermutlich. Eine Art Ritus?
Geister …
Wohl kaum
, dachte Cedric und schüttelte den Kopf. Aber was sollten die Ureinwohner im peruanischen Regenwaldauch von Vampiren wissen? Vermutlich wussten nicht einmal die Vampire selbst, wer oder was sie waren. Oder was verboten war. Tief im Urwald gab es schließlich keine Konsulate und keine Regeln …
Cedric stand auf und ging zu der Truhe im hinteren Teil seines Büros, um eine Blutkonserve herauszunehmen. Er fühlte sich seltsam schwach und brannte doch darauf, weiter zu lesen. Es war, als hätte er einen großen Haufen Puzzleteile in den Schoß geschüttet bekommen, die sich nun ganz von selbst an ihren Platz bewegten. Bald würde er das Bild sehen. Die Erkenntnis war nicht mehr weit.
Cedric stürzte das Blut in einem einzigen Zug hinunter.
Und zum ersten Mal fragte er sich, ob er die Wahrheit überhaupt wissen wollte.
06. März 2010
Seit Tagen habe ich dieses Buch nicht mehr in die Hand genommen. Und auch jetzt traue ich mich kaum, einen Blick auf die letzten Seiten zu werfen. Die Angst sitzt immer noch tief in meinem Bauch.
Wir haben einstimmig beschlossen, unsere Expedition abzubrechen. So sehr wir uns auch bemühen, keiner von uns schafft es, seine Vorfreude auf die Jaguare wiederzufinden. So lange wir im Urwald sind, so viel ist mir klar, haben wir keine Chance, die Erinnerungen an das Erlebte beiseitezuschieben. Das werden wir nur zu Hause in vertrauter Umgebung schaffen. Auch die anderen wissen das, scheint mir, denn es ist kein einziges Argument für die Expedition mehr gefallen. Der Weg von hieraus zurück durch den Dschungel ist lang, und es ist fraglich, ob wir durch Zufall auf ein Dorf stoßen, das uns Unterschlupf gewährt. Aber Angél wird uns schon sicher führen.
Er weiß, welche Pflanzen uns ernähren können, jetzt, da uns langsam die Verpflegung ausgeht, und an Wasser besteht zum Glück kein Mangel. Nicht einmal die Aussicht, vielleicht Würmer oder andere Parasiten zu bekommen, schreckt mich noch. Ich will nur noch zurück in mein sicheres Leben. Fort aus dem Urwald, der mir mit jedem Tag bedrohlicher scheint. Ich bin ganz unausstehlich, aber da bin ich nicht die Einzige. Wir alle sind gereizt. Wäre nicht die Angst, die uns zusammenschweißt und uns dazu bringt, uns des Nachts eng aneinander zu kuscheln, wären wir uns sicher längst an die Kehle gegangen. Und das meine ich nicht nur im übertragenen Sinne. Ich habe das Gefühl, langsam wahnsinnig zu werden, und manchmal überkommt mich das Bedürfnis, aus lauter Verzweiflung um mich zu schlagen und zu beißen. Aber dann muss ich an die Leichen im Dorf zurückdenken, und ich bekomme Angst vor mir selbst.
In vier Tagen etwa können wir zurück in der Feldstation sein, sagt Angél. Das klingt in meinen Ohren unglaublich lang. Aber ich werde es schon aushalten. Ich denke an Jody und Jim, die sich sicher freuen werden, wenn ich früher als erwartet nach Hause komme. Und der Gedanke wird mich hoffentlich besser schlafen lassen.
09. März 2010
Heute haben sich Kelly und Trevor gestritten. Das habe ich zuvor noch nie erlebt. Bei der angespannten Stimmung, die in unserer Gruppe herrscht, hätte mich das vielleicht nicht wundern dürfen. Aber wie sie stritten! Und um was!
Angél hat über Nacht Schlingen ausgelegt und einen Capybara gefangen. Diese Nager sind nicht besonders groß, vor allem nicht, wenn man sie durch fünf teilen muss. Nach zwei
Tagen, in denen wir uns hauptsächlich von Früchten ernährt haben, haben wir uns darauf gestürzt wie die Geier. Wir hatten kaum genug Geduld zu warten, bis das Fleisch gar wurde und haben das Tier fast roh zerrissen.
Und dann ist es passiert. Kelly, die sich in den letzten Tagen sehr unwohl gefühlt hat und über ständige Kopfschmerzen und Verdauungsprobleme klagte, bat Trevor, ein Stück von seinem Teil des Bratens essen zu dürfen. Und Trevor, der sich sonst rührend um seine Frau kümmert, lehnte ab. Aber in einem Tonfall! So aggressiv habe ich ihn noch nie gehört. Und Kelly, die ruhige, besonnene Kelly, fing an zu schreien und zu – ja, zu fauchen und zu zischen. Hätte nicht George ein Stück seines Fleisches an sie abgetreten, ich hätte schwören können, dass sie ihm an die Gurgel gegangen wäre, um sich den Braten mit Gewalt zu holen. Ich bin immer noch entsetzt. Es ist nicht nur der Stress. Etwas Seltsames passiert mit uns. Ich kann es fühlen, auch wenn ich es
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