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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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ist, sondern – süchtig macht. Sie ist faszinierend. Aufregend. Er jagt alles. Ich jage nichts außer ihm. Aber ich vermute, dass meine Gier nach Blut genauso stark und ausgeprägt ist wie seine.
    Er war hier, also ist dies der Ort, an dem ich sein muss. Ich muss ihn finden, ich muss mich an seinen Schatten schmiegen, an die Maden in seinen Augen und die Schreie.
    Am Anfang spüre ich fast immer das Gleiche, und diesmal ist es genauso. Seine Aufregung über das Eindringen in die Privatsphäre von jemand anderem. Menschen schaffen ihre eigenen Räume, grenzen sie von den Bereichen anderer ab. Sie vereinbaren, diese Grenzen gegenseitig zu respektieren. Das ist eine fundamentale, ursprüngliche Verhaltensweise. Dein Heim ist dein Heim. Sobald die Tür hinter dir geschlossen ist, bist du für dich allein und privat. Hier musst du nicht das gleiche Gesicht aufsetzen, das du der Welt da draußen zeigst. Andere menschliche Wesen kommen nur herein, wenn du sie eingeladen hast. Sie respektieren dies, weil sie es für sich selbst ebenfalls so wollen.
    Das Erste, was diese Monster tun, das Erste, was sie aufregt, was sie anmacht, ist das Überschreiten dieser Grenze. Sie spähen in deine Fenster. Sie folgen dir den Tag hindurch, beobachten dich. Vielleicht betreten sie deine Wohnräume, während du unterwegs bist, gehen in deine Privatsphäre hinein, reiben sich an deinen privaten Dingen. Sie dringen ein.
    Die Zerstörung anderer geilt sie auf. Ich erinnere mich an das Verhör von einem der Ungeheuer, die ich geschnappt habe. Seine Opfer waren kleine Mädchen. Einige waren erst fünf, andere sechs, keines war älter. Ich habe die Fotos von ihnen gesehen, wie sie vorher aussahen. Schleifen in den Haaren und ein strahlendes Lächeln. Und ich sah die Bilder von ihnen danach – vergewaltigt, gefoltert, ermordet. Winzige Leichen, die bis in alle Ewigkeit schreien. Ich stand im Begriff einzupacken, wollte den Verhörraum bereits verlassen, als mir die Frage in den Sinn kam. Ich wandte mich noch einmal zu ihm um.
    »Warum sie?«, fragte ich. »Warum ausgerechnet kleine Mädchen?«
    Es grinste mich an. Es war ein breites Halloween-Grinsen. Seine Augen waren zwei glitzernde, leere schwarze Abgründe. »Weil es das Böseste ist, was ich mir habe vorstellen können, Süße. Je böser es ist«, sagte er und leckte sich die Lippen, »desto besser ist es.« Er schloss seine leeren Augen und nickte vor sich hin, während er in seinen Erinnerungen schwelgte. »Diese jungen Dinger … mein Gott … das war so verdammt böse, dass es einfach nur geil war!«
    Es ist eine rasende Wut, die ein solches Bedürfnis weckt und am Leben hält. Kein gewöhnlicher Ärger, sondern eine lodernde, alles verzehrende Wut. Ein dauerndes, brüllendes Feuer, das nie erlischt. Ich spüre es hier in diesem Zimmer. So überlegt er auch vorgehen wollte – am Ende ist er in Raserei verfallen, hat die Kontrolle verloren.
    Diese zügellose Wut entspringt in der Regel einem extremen, als Kind erlittenen Sadismus. Prügel, Folter, Vergewaltigung. Die meisten dieser Monster werden von Menschen geschaffen, von Frankensteins Eltern. Deformierte Persönlichkeiten, die Kinder nach ihrem eigenen Bildnis gestalten. Sie prügeln ihre Seelen zu Tode und schicken sie dann in die Welt hinaus, damit sie ihrerseits das Gleiche anderen antun.
    Nichts von alledem ändert etwas an der unumkehrbaren Verdorbenheit der Monster. Es spielt schließlich am Ende auch keine Rolle, warum ein Hund gebissen hat. Dass er beißt und dass seine Zähne scharf sind, entscheidet über sein Schicksal.
    Ich lebe mit dem Wissen um all das. Diesem Verstehen. Es ist ein ungewollter Begleiter, das niemals von meiner Seite weicht. Die Monster werden zu meinem Schatten, und manchmal habe ich das Gefühl, als könnte ich sie hören, wie sie hinter meinem Rücken kichern.
    »Auf welche Weise beeinflusst Sie das langfristig?«, wollte Dr. Hillstead von mir erfahren. »Gibt es irgendwelche bleibenden emotionalen Konsequenzen?«
    »Ja … sicher. Selbstverständlich.« Ich hatte Mühe, die Worte zu finden. »Es ist keine Depression und kein Zynismus. Es ist nicht so, dass man nicht mehr glücklich sein könnte. Es ist …« Ich schnippte mit den Fingern und sah ihn an. »Es ist ein Klimawechsel in der Seele.« Noch während mir die Worte über die Lippen kamen, verzog ich das Gesicht. »Das ist ein alberner, poetischer Mist.«
    »Hören Sie auf, so zu reden«, ermahnte er mich. »Es ist nichts Albernes daran, die

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