Die Blutmafia
bestückt.
Denn es war Hampel!
Wer sonst sollte es sein?
Im Abdrehen noch hatte er es gelesen, in Messing geprägt: ›Bernhard Hampel‹.
Und da kam er – doch nicht allein. An einer Leine zerrte irgendein langhaariges, braunglänzendes kleines Vieh. Wie heißt die Sorte noch? … Richtig, Cocker, Cockerspaniel. Unverheiratet – nein, geschieden war Hampel. Wieso also sollte Herrchen nicht sein Hundchen Gassi führen?
Nein, es war nicht so, wie er es erwartet hatte: Jagdfieber? Was ist das? – Beute, Objekt, Zielperson … Da hast du sie! Aber das Jagdfieber? Ist es in etwa das Gefühl, wie wenn man sich heißen Kaffee mit Cognac hinter die Binde kippt? – Hier ging es um Haß. Und Haß kann wirken wie ein Aufputschmittel. Ludwig Kiefer hatte selbst dafür seinen Spruch: »Den Haß zu personalisieren, ihm als Ziel einen Menschen zu geben, der das Schlechte verkörpert – das gehörte zu allen Zeiten zu den Waffen der Revolution. Die Geschichte beweist es …«
Ludwig war ein gewaltiger Theoretiker. Jetzt half er nicht weiter.
Es war anders. Auch der Mann war anders. Er war jetzt vielleicht sechs oder acht Meter zur Platzmitte gegangen, blieb stehen, starrte kopfschüttelnd zu dem lustigen Partyvölkchen hinüber, machte noch drei Schritte, blieb wieder stehen, starrte dem Spider entgegen, der mit röhrendem Motor zurückkam und genau um ihn eine Kurve drehte. Das Mädchen, das auf dem Verdeck saß, brüllte ihm etwas zu. Der Hund kläffte, und Hampel hob die Faust. Und da war er nun, direkt erfaßt vom Lichtkreis der ersten Lampe – vier Meter von Rio entfernt.
Ein käsig-fettes, weißes Gesicht. Eine funkelnde Brille. Nur der Körper schien ihm weggeschmolzen zu sein. Das war kein quadratischer Schädel auf einem mächtigen Unterbau – abfallende Schultern waren es, ein Bauch, dünne Beine in Jeans. Tatsächlich, er trug Jeans!
Aber das Aufschlußreichste war das Gesicht. Aufgedunsen wie ein Ballon, ein vor Empörung wie eine Falle aufklappender Mund, mieser, nein, gemeiner wirkend als auf der Fotokopie vom Schießstand. Und dazu noch Wirklichkeit …
Vier, höchstens fünf Meter … Es wäre so schnell vorbei. Es wäre so einfach. Auf eine Krawatte brauchst du nicht zu zielen, die trägt er gar nicht. Unter dem offenen Kragen seiner Trainingsjacke leuchtete ein Unterhemd.
Na also, dann … Ja, dann, Herrgott noch mal, ziel doch! – Von wegen ›Phase Rot‹, von wegen ›Erkenntnisse sammeln‹ …
Jetzt hast du's, das Jagdgefühl. Los, hol die ›H&K‹ raus, viel zu zielen gibt's doch da nicht! – Zieh durch, Mensch … zieh durch!
Aber er hatte nicht geschossen.
Dabei hätte ein einziger Schuß genügt. Versagt hatte er, jawohl. Nur eine einzige Patrone, und es wäre vorbei gewesen – die Schau zu Ende …
Aber nein!
Rio wollte wieder zur Flasche greifen, die er mit aufs Zimmer genommen hatte. Er ließ sie stehen, stand vom Bett auf und ging zum Telefon.
Er stand vor dem kleinen Sekretär, spürte, wie der Schweiß ihm das Hemd an den Rücken klebte. Eine einzige Patrone? Und dann Jahre auf der Krankenstation eines Gefängnisses, bis es endlich vorbei ist? Er wußte doch, es fing auch bei ihm an: die ewigen Magenprobleme – dir wird ja schon übel von ein paar Schlucken Wein, die Dauerschlappheit … ›Sekundärinfektion‹ heißt so etwas, ›opportunistische Keime‹ …
Er tippte seine Münchner Nummer ein, preßte den Hörer ans Ohr und wartete mit angehaltenem Atem. Nichts. Das Freizeichen. Entweder Vera schlief wie ein Stein, oder sie war ausgegangen – und deshalb bekam Herr Wohlmann in der ›Pension Carola‹ keine Antwort.
Gut, morgen würde er wieder Rio Martin sein, sie aus irgendeiner Redaktion anrufen, um sich von dort ein Berliner Alibi zurechtzuzementieren, so wie Ludwig sich das ausgedacht hatte.
Aber heute – heute hätte er sie gebraucht …
Er fischte das Notizbuch aus der Brusttasche seiner Lederjacke und schlug die letzte Seite auf. Hier – ›00-34-71‹ lautete die Vorwahl für Mallorca. »Ruf mich an, wenn du mich brauchst, Rio. Auch nachts. Ruf mich an, wenn du's für wichtig hältst.«
Es war nicht wichtig. Und in Ludwigs Augen hatte er sich auch völlig vernünftig verhalten. Wahnsinn wäre es gewesen, einfach loszuballern. So aber hatte er sich die ›Zielperson‹, den Regierungsdirektor Bernhard Hampel, mal angesehen und es dabei noch so gedeichselt, daß er von ihm nicht erkannt werden konnte. Alles okay demnach. Umwerfende Nachrichten
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