Die Blutmafia
auch nur für Graphiken dieser Künstler verlangen konnten, da gab es noch etwas anderes … Was zum Beispiel Jansen und Ungerer verband – so verschieden sie in ihren Auffassungen und ihrem Strich auch sein mochten –, waren ihre erotischen Themen. Nicht nur die Art, wie sie sie darstellten, auch die Auswahl. Wie sollte man die nennen? ›Bizarr‹ vielleicht, was immer man darunter verstehen wollte.
Monetti jedoch – Rio hatte eine Ausstellung von ihm gesehen –, weibliche Körper, mit Stricken gefesselt, die Hände in Handschellen, die Gesichter, nein, die Köpfe von Ledermasken bedeckt, aus deren Schlitzen Augen starrten. Nackte Leiber, an Stühlen festgebunden, andere wie an Pfählen gekreuzigt oder von Deckenbalken hängend … Giacomo Monetti. Milano. Und der Titel der Ausstellung lautete: ›La legge oscura‹ – ›Das dunkle Gesetz‹ …
Ganz schön dunkel, bei Gott!
Aber ein Maler wie er konnte seine Phantasie und seine verbogene Sexualität auf Zeichenpapier und Leinwand abreagieren – und bekam dafür noch einen Haufen Geld. Vielleicht ging Thomas Engel einen Schritt weiter? Vielleicht wollte er das alles in der Realität erleben? Vielleicht? Verdammt noch mal, viel zu viele ›Vielleichts‹ sind das! Paß bloß auf, daß du dich nicht vollends vergaloppierst …
Rio klebte das Kuvert zu, ging ins Sekretariatszimmer und bat Hanni, einen Kurier ins Polizeipräsidium zu schicken. Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und nahm den Zettel zur Hand, den sie ihm zuvor gebracht hatte.
00-41? – Das war die Schweiz. Auch die Vorwahl war ihm bekannt: 93 – das stand für den Tessin. Nur den Namen hatte Hanni falsch aufgenommen. Der Anrufer hieß nicht ›Dr. Danilo Bianchi‹, sondern › Bianchetti ‹. Und er war wie eine Stimme aus der Vergangenheit …
Danilo! dachte Rio. Der alte, gute Danilo … Du hättest dich längst bei ihm melden müssen. Bei so vielen hättest du dich längst melden müssen, verflucht noch mal … Aber was will er heute von dir?
Er tippte die Nummer ein und fischte dabei seinen geköpften Glimmstengel wieder aus dem Aschenbecher. Doch er zündete ihn nicht an, er rollte ihn nur zwischen den Fingern hin und her.
Und dann meldete sich eine Telefonistinnenstimme: »Ospedale Cantonale. Dottore Bianchetti wollen Sie sprechen? Einen Moment, prego …« – Eine Labsal, die Sprache. Rios Herz klopfte freudig.
»Bianchetti.«
»Na, Alter! Weißt du, was ich jetzt möchte? Ein Flugzeug chartern und zu dir fliegen. In den Süden.«
»Dann tu's doch.« Die Heiterkeit in Danilos Stimme klang etwas gezwungen. »Tu's sofort. Dann können wir wieder mal einen zusammen trinken.«
»Weißt du überhaupt, daß ich verheiratet bin?«
»Klar, weiß ich. Ich bekam doch deine Einladung. Und dann hab' ich dir ein Telegramm geschickt und fünfzig Rosen. Aber die ließen mich hier nicht los.«
»So ein wichtiger Mann bist du geworden, Danilo?«
»Du doch auch … Du weißt ja, wie's ist … Du doch am besten.«
Und nun die übliche Pause, die sich nach Trennungen einstellt, wenn die erste Euphorie des Wiederfindens verflogen ist. Die Pause dauerte lange, sehr lange.
»Also hör mal, Danilo, was ist denn? Was verschafft mir die Ehre?«
»Rio, du schreibst jetzt für ein international bekanntes Blatt. Stell dir vor: Den ›N EWS K URIER ‹ kannst du sogar bei uns auf der Piazza kaufen. Nun, was sagst du dazu?«
Rio sagte nichts.
»Ab und zu kauf ich ihn mir«, fuhr Danilo deshalb fort. »Gestern auch. Das Blatt kommt natürlich mit einiger Verspätung. Aber da stand groß dein Artikel über den Plasmaskandal drin. Diese Firma … Wie war das noch? Bio-Plasma …«
»Ja.« Warum stotterte Danilo? Weshalb die Pausen?
»Als ich den Namen las, Rio, weißt du, da ging mir plötzlich eine ganze Menge durch den Kopf.«
»Und deshalb rufst du an?«
»Ja. Oder, wie soll ich sagen: Der Anruf ist so eine Art kleiner Hinweis. Mehr nicht. Wirklich nicht …«
»Sag mal, Danilo, was ist denn mit dir los? Könntest du dich nicht etwas klarer ausdrücken?«
»Ein Hinweis«, beharrte die Stimme im fernen Tessin. »Ein Hinweis aus einer gewissen Sorge heraus. Vielleicht aus einer übertriebenen Sorge. Aber wir sind ja Freunde …«
»Nun schieß doch endlich los!«
»Erinnerst du dich an den Knochenbruch, den wir damals im Dachauer Krankenhaus eingerichtet haben?«
Knochenbruch? Und ob er sich erinnerte! Die Bertram-Party! Es war eine sehr feuchte Party gewesen, weil Willi
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