Die Blutmafia
Bertram glaubte, das seinem Beruf als Musikagent schuldig zu sein. Das war schon einige Jahre her, fiel noch in die Vor-Vera-Zeit. Vera hatte es zwar schon gegeben, doch der Gedanke an eine feste Bindung erschien ihm damals unrealistisch, beinahe ungeheuerlich. Und so war es ihm später als eine Art gerechte Strafe erschienen, was ihm in diesem Privatpark am Starnberger See zustieß: Irgendein Mädchen, an dessen Namen er sich nicht einmal erinnerte, hatte ihm beim Grillen etwas an den Kopf geschmissen – eine Semmel, richtig! Er war ihr nachgerannt, gestolpert und auf einer kleinen Mauer und in einem Meer von Schmerzen gelandet. Gesicht und Hände in der Rosenhecke. Das Schlimmste aber war das Schienbein. Blöde, blutend und besoffen, wie er war, hatte er auch noch mit zu grinsen versucht, als die anderen ihn auslachten.
Für derartige Situationen gab es damals den Helfer in der Not: Dr. Danilo Bianchetti im Dachauer Krankenhaus, einen Danilo für alle Lebenslagen. Und so war es auch diesesmal wieder gewesen: Danilo schickte den Sanitätswagen, der Rest war Routine: Anästhesie – ein bißchen schwierig bei so viel Alkohol im Blut – der Knochen wurde eingerichtet. Danilo brachte den Patienten selbst nach Hause, und bald konnte Rio wieder in der Dachauer Klinik aufkreuzen, um sich die Metallplatte entfernen zu lassen. Der Knochen war wunderbar abgeheilt. Null Problem. Keine Schwierigkeiten. Ein Klacks. Und fast vergessen …
»Danilo, hör mal, das war doch ganz harmlos!«
»Sicher war es ein harmloser Bruch. Nur …«
»Was – nur?«
»Porco cane«, fluchte der Teilnehmer im Tessin. »Das Plasma, das wir dir damals gegeben haben …«
»Plasma?« – Schon das Wort löste eine Wolke von Hitze aus, die seinen Rücken bis hoch zum Hinterkopf einhüllte. Und aus ihr stach es wie mit tausend eiskalten Nadeln. »Plasma, Danilo? Ich kapier' nicht …«
Aber er hatte begriffen!
»Wieso denn Plasma?« Diesmal schrie er es. »Es gab doch gar keine Blutungen. Hast du selbst gesagt.«
»Gab's auch kaum. Wie du weißt, war es Schönberg, der dich damals operierte. Schönberg ist in der Orthopädie absolut ein As. Das Problem liegt woanders: Schönberg gab in solchen Fällen immer Plasma. Er hielt es für die eleganteste Methode, eine schnelle Knochenregeneration zu erzielen. Und damit hatte er ja auch recht. FFP-Präparate …«
»Was ist das schon wieder?«
»Fresh frozen Plasma. Hat eine stark keimtötende und regenerative Wirkung. Deshalb verkürzt es die Abheilungszeit, verstehst du?«
Es war völlig gleichgültig, ob und was er verstand. Sein Magen hatte sich zusammengezogen. Es war, als umklammere ihn eine Faust. Rio hörte sein Herz. Nein! war alles, was er denken konnte, während gleichzeitig eine zweite, leise Stimme in ihm sagte, daß Plasma schließlich überall verwendet wurde. Hektoliter von Plasma, an Tausenden und Zehntausenden von Kliniken rund um die Welt … Also werd nicht hysterisch, Junge! Reg dich ab, Herrgott noch mal.
»… so schickten wir noch in der Nacht einen Kurier hinüber zum Bereitschaftsdienst der Max-Ludwig-Klinik. Die lag ja ganz in der Nähe, wie du weißt.«
»Einen Kurier zur Max-Ludwig-Klinik? Warum denn?«
»Ich sag' doch, Rio: Schönberg wollte Plasma. Die von der Max-Ludwig-Klinik halfen aus. Der Mann kam auch sofort zurück.«
»Und?«
Der Apparat war wie tot.
»Und?!« schrie er. »Los, red weiter, Danilo!«
»Ich nahm den Beutel selbst in Empfang. Deshalb erinnere ich mich ja noch so genau an den Firmennamen.«
»Der Name, Danilo? War es …«
»Ja, Rio.« Nun war die Stimme so schwach, daß er sie kaum verstand. »Ja, es war ein Beutel von ›Bio-Plasma‹. Deshalb rufe ich ja an.«
»Ihr seid ja wahnsinnig!«
»Rio, ich kann mir vorstellen, in welche Aufregung dich das versetzt. Ich habe mir lange überlegt, ob ich es dir überhaupt sagen soll. Eines steht fest: ›Bio-Plasma‹ hat sicher Zehntausende von Präparaten geliefert, die absolut einwandfrei waren …«
»Die Nummer«, flüsterte Rio. »Danilo – die Nummer? War es eine Nummer, die mit zwölftausend begann?«
»Wie im Fall Reissner?« – Danilo hatte den Artikel also tatsächlich genau gelesen. »Ich weiß es nicht. Wie soll ich das auch wissen? Es ist doch so viel Zeit inzwischen verstrichen. Vier Jahre, Rio, bedenk doch …«
Er atmete mühsam, versuchte seine Gedanken, den Atemrhythmus wieder unter Kontrolle zu bekommen. Danilo hatte ja recht: Gewaltige Mengen waren geliefert worden.
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