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Die Blutmafia

Die Blutmafia

Titel: Die Blutmafia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus dem Schrank, mit dessen Hilfe sich die Schiebetreppe zum Dachboden öffnen ließ. Wann war sie das letzte Mal dort oben gewesen? Im Herbst. Ja, im Herbst vor zwei Jahren …
    Sie brachte den Eisenhaken in die Position, zog am Ring, und die Treppe glitt ihr entgegen. Vera kletterte hoch. Schummerlicht und Dachbodengeruch. Die Erinnerung an die Dachbodenstunden ihrer Jugend, als sie sich vor der Schwester versteckte, der Kritik ihrer Mutter entzog, Tagebuch schrieb, verbotene Bücher las und die Märchen träumte, an die sie glaubte.
    Trauerarbeit? – Sicher hatte Cleo recht … Da standen ihre beiden Alukoffer, mit denen man sie ins Internat geschickt hatte. Im kleineren hatte sie immer ihre Wäsche und die Schulhefte mitgenommen. Sie setzte sich auf den großen und schüttelte den Kopf: Nicht unterkriegen lassen! Das kann uns doch gar nicht zustoßen! Du wirst sehen, das ist nichts als ein blödsinniger Traum.
    Die Augen wollten wieder feucht werden. Vera versuchte sie mit dem Handrücken trockenzureiben. Viel nützte es nicht. Aber sie fand die rote Kartonschachtel mit den kleinen, blauen, aufgedruckten Pferdchen. Als sie das Plexiglasregal im Wohnzimmer aufstellten, hatte Rio darauf bestanden, eine Lebkuchenschachtel habe auf Plexiglas nichts zu suchen, und so kam sie auf den Dachboden. Mitsamt den Fotos, die sie enthielt …
    Wie lange sie so saß – sie wußte es nicht. Sie hatte den Schalter für eine nackte, von einem Balken baumelnde Glühlampe gefunden und angeknipst. Da waren sie nun! Zum Teil steckten die Fotos zusammen mit den Negativen in ihren knallbunten Versandkuverts, andere lagen wild durcheinander, manche hatte sie auf der Rückseite mit dem Datum und anderen Hinweisen beschriftet. Sie brauchte keine Kommentare. Sie wußte doch …
    Rio, als er von seiner Beirut-Reportage zurückkehrte, verschwitzt und verdreckt, Haare, die bis auf die Schultern fielen; und als ob das nicht reichte, auch noch ein Vollbart wie ein Country-Sänger. Hier: ein Foto des Porsche. Nicht schwarz, nein weißgepudert mit Staub. Und ein Huhn, das an der Stoßstange herumpickte. Dies war ihre Reise nach Andalusien gewesen … In Ubeda gab es einen einzigartigen ›Parador‹, eine umgebaute maurische Festung. Nur, daß sie die umgebaute maurische Festung nie fanden und sich in irgendeiner Mondlandschaft zwischen kahlen Bergen verirrten und sich in der Nacht Flohstiche im durchgelegenen Himmelbett eines Dorfwirtshauses holten …
    Ein ganzer Stapel Fotos, von einem roten Gummiband zusammengehalten. Das erste Bild zeigte Zwiefalten: hohe Tannen, Häuser mit hohen Dächern. Das nächste verwackelt, der linke Rand nur ein heller Streifen, aber sie trug es im Gedächtnis: Ein Fahrrad, ihr Fahrrad. Und Rio hatte sich gegen ihre Proteste auf den Gepäckständer geschwungen, abwärts ging's, der Weg war steil. Ben hatte das Foto geknipst, der gute alte Ben, mit dem sie nach Zwiefalten gekommen war … Mit Rio war sie hundert Meter weiter unten im Straßengraben gelandet – und Ben war drei Tage später stinkbeleidigt abgefahren. Im Straßengraben hatte es begonnen … »Was willst du eigentlich, Vera? Dich hab' ich doch im Straßengraben aufgelesen«, hatte er oft genug verkündet.
    Sie rannte die Treppe hinab, ging in Rios Büro, holte sich eine Faxrolle Papier und Klebstoff, dazu noch die Schere. Doch als sie alles gefunden hatte, klingelte das Telefon. Sie hob ab.
    »Olsen. Rio?«
    »Das bin ich, Vera.«
    »Na, wunderbar! Wie geht's denn, Vera?«
    Die Stimme Olsens war von baritonalem, etwas gekünsteltem Leichtmut: Der freundliche Nachbar um die Ecke, nein, der Chef, dem es mal einfiel, sich nach dem Befinden seines Lieblingsangestellten zu erkundigen.
    »Na, wie schon …«
    »Hör mal, Vera, ich könnte jetzt eine Menge sagen, aber ich schenk' es mir. Vielleicht haben wir ein andermal Gelegenheit dazu.« Pause. Dann: »Eines ist uns ja beiden klar: Er muß raus aus seinem Loch.«
    »Ja«, sagte sie und betrachtete die Schere in ihrer Hand. »Nur – wie?«
    »Wer ist eigentlich sein Arzt?«
    »Ein Mann namens Herzog.«
    »Ach der? Dr. Jan Herzog?«
    »Ja. Er war auch Reissners Arzt.«
    Wieder die Pause. Und Olsens Schnaufen: »Kann der nicht ein vernünftiges Wort mit ihm reden?«
    »Er hat schon viele vernünftige Worte mit ihm geredet. Und ich auch, Ewald. Das kannst du dir doch denken.«
    »Natürlich kann ich das! Himmelherrgott noch mal, sag ihm, daß ich ihn brauche, Vera! Und das ist kein gottgefälliges Märchen.

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