"Die Bombe is' eh im Koffer"
sagte der Kartonträger, und die Art, wie er es sagte, hatte etwas überaus Beunruhigendes. Er sprach ohne jedes Lächeln, er zwinkerte nicht, er fand an der Situation überhaupt nichts skurril. Er sprach so wie die Leute, die in Filmen hilflosen Menschen sagen, was sie jetzt tun müssen: » Lassen Sie den Bären nicht aus den Augen. Sie gehen ganz langsam rückwärts. Sie fangen nicht an zu laufen. Wenn Sie laufen, sind Sie tot.«
» Okay«, sagte ich, » er ist euch also abgehauen. Und wie habt ihr ihn wiedergefunden? How did you get him again?«
Die Polizei hatte ihn bei seinem ersten deutschen bewaffneten Raubüberfall festgenommen. Freiwillig war er nicht mitgekommen. Sie hatten ihn erst ein wenig anschießen müssen. Weshalb er wohl im Rollstuhl saß, vermuteten wir. Aber wir lagen falsch. Einer der Agenten zog die Wolldecke weg.
» He is extremely dangerous«, sagte er nochmals.
» Sometimes«, fügte der andere hinzu, » sometimes he bites.«
Ein Gefangener, der beißt? Das musste jetzt wirklich ein Gag sein. Ich forschte in seinem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen für einen Scherz. Aber der Mann war so sehr zu Scherzen aufgelegt wie ein Totengräber. Also kümmerten wir uns vorsichtig um unseren kleinen Dreifachmörder.
Den Bauch umgab ein massiver, zehn Zentimeter hoher Ledergurt mit Stahlschlaufen. Seine Hände lagen in Handschellen, an den Verbindungsstücken der Handschellen war eine Edelstahlkette befestigt, die durch die mittlere Schlaufe hindurch nach unten zu den Beinen führte. Die Füße waren ebenfalls mittels einer Kette aneinandergebunden. Der kleine Mörder konnte keinen Schritt machen, der größer war als dreißig Zentimeter. Unter diesen Umständen war der Rollstuhl zweifellos das schnellere Transportmittel. Der Typ war gut verpackt, daran war nicht zu rütteln– das Einzige, was noch fehlte, war Hannibal Lecters Unterkiefergesichtsmaske gegen mögliche Beißattacken.
Wir schoben den Rollstuhl zu unserer Kontrollkabine. Dort nahmen wir den Mann zu zweit unter je einer Achsel, hoben ihn an und achteten streng darauf, dass sein Kopf immer schön senkrecht war, mittig und keinem von uns zu nahe. Anderthalb Meter trugen wir ihn, dann stellten wir ihn in der Kabine in die Ecke, mit dem Rücken zur Wand. Danach teilten wir uns auf: Jan, ähnlich groß wie ich, drückte ihn mit der gespreizten Rechten auf der Brust in die Ecke. Ich führte die Personenkontrolle durch.
Jan stand der Schweiß auf der Stirn. Während der gesamten Zeit blieb seine linke Faust geballt. Der kleine Mann ließ es über sich ergehen. In seinen Schuhen war nichts. Seine Mütze war leer. Der Mann war durch und durch unbewaffnet. Dann richtete ich mich auf.
» Okay«, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu Jan. Dann sah ich das Männlein an.
Das Männlein sah durch mich hindurch.
Wir packten ihn respektvoll wieder unter den Armen und schleppten ihn zurück zu seinem Rollstuhl. Nachdem wir ihn hineingesetzt hatten, warteten wir auf die Stellungnahme der Polizei. Inzwischen waren zwei Bundespolizisten eingetroffen.
Die Angaben stimmten, von vorne bis hinten. Wir gaben den FBI -Beamten ihre Koffer, die der eine von ihnen an sich nahm. Der andere packte wieder den Rollstuhl und begann, ihn zum Gate zu schieben. Da fiel mir die Decke auf, die noch am Nachschautisch lag. Die sollte man schon über den kleinen Mann breiten. Mitflieger in Handschellen machen Passagiere meist ein wenig nervös.
» Moment«, sagte ich.
Ich nahm die Decke und packte das Männchen blickdicht ein. Und als ich mich aufrichten wollte, sah er mich das erste Mal an.
Und lächelte.
Ein tadelloses Gebiss.
Man konnte direkt neidisch werden.
Mehmet
Etwa ein Drittel der Luftsicherheitsassistenten in Frankfurt sind Türken. Das ist nicht schlimmer als ein Drittel Schwaben oder Thüringer, man versteht sie sogar besser. Zudem hat die Drittelung einen großen Vorteil: Die Ungerechtigkeit ist gerecht verteilt. Wenn ein türkischer Kollege in einer Truppe voller deutscher Luftsicherheitsassistenten kontrolliert, muss er sich dieselben dummen Sprüche über die Türken gefallen lassen wie ein Deutscher in einer türkischen Truppe. Die Türken kriegen dumme Witze über ihre Rückständigkeit erzählt, ihre anatolische Verwandtschaft und deren vermottenkugelte Pakete. Und wenn ich in einer Gruppe mit türkischen Luftassis arbeitete, war ich praktisch wahlweise so was wie ein Lederhosenkasper oder der hessische Hitler. Derb, aber wahr. Es gab nur eine
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