"Die Bombe is' eh im Koffer"
Ausnahme: Nämlich, wenn ich mit Mehmet arbeitete und wir in einer völlig fremden Truppe waren.
Mehmet war mein absoluter Favorit unter den türkischen Kollegen. Lag vielleicht daran, dass er so ungefähr in meinem Alter war, also Mitte vierzig. Oder daran, dass er schon seit fünf Jahren am Flughafen war und genau wusste, was er wann wie zu tun hatte. Mehmet ist nicht sehr groß, vielleicht knapp über eins siebzig, aber kräftig, leicht untersetzt, mit grau melierten Haaren und einem grauen Schnauzer. Er kann verschmitzt grinsen wie kein zweiter, aber wenn er möchte, kann er so seriös gucken, dass man bei ihm sofort eine Lebensversicherung abschließen möchte. Nicht dass ihm daran gelegen wäre, Mehmet hat an den größeren und kleineren Geschäften am Flughafen kein besonderes Interesse. Mehmet möchte seinen Job gut machen und seine Ruhe haben. Außerdem liest er gern und viel, vor allem Historisches.
Wenn wir mal wieder zu zweit in einer völlig gemischten anderen Mannschaft waren, nahm mich Mehmet gerne mal beiseite. Und dann erklärte er mir die großen Fehler der Weltpolitik und der Militärgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Zweiten Weltkriegs. Das unwiderlegbare Fazit lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: Wenn Mehmet sehr viel früher geboren wäre, nämlich so früh, dass die Türken und die Nazis alle beizeiten auf ihn und seine Ratschläge hätten hören können, dann würden jetzt die Nazis und die Türken gemeinsam die Welt beherrschen. Und nun kann man da manches für ziemlich abstrusen Unsinn halten, zum Beispiel schon mal die Befürwortung irgendeiner Weltherrschaft. Aber ich muss ehrlich sagen: Bevor ich lange über Mehmets politische Weisheiten nachdachte, habe ich mir lieber ausgemalt, wie schön blöd unsere Neonazis da glotzen würden. Weil sie ihre No-go-Areas zumachen könnten, auf sämtlichen Postern Adolfs Chaplinbart verbreitern müssten und ab sofort meterhoch plakatieren: » Ein echter Deutscher kauft gern bei Özlem-Export!« Das wär’s mir dann beinahe schon wieder wert. Vor allem, weil ich mir bei einem Blick in Mehmets Gesicht immer dachte, dass das überhaupt nur der eigentliche Grund war für seine Weltherrschafts-Fantasien – den Neonazis Adolf, den Türkenfreund, aufs Auge zu drücken. Das würde zu ihm passen. Bei Mehmet muss man mit allem rechnen.
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem wir wieder die große Schweinefleischdiskussion hatten. Das ist ja nicht nur ein Klischee, die Sache mit dem Schweinefleisch, das man nicht essen darf oder will, das ist wirklich ein Thema, gerade in deutsch-türkischen Crews. Wir waren in einer Gruppe, die bis auf mich rein türkisch war, und wir hatten überlegt, wo wir mittags eine Kleinigkeit essen gehen würden. Ich hatte eine große Hamburgerkette vorgeschlagen und scheiterte am allgemeinen Protest, wegen des Schweinefleischs.
» Kannst du nicht essen!«
» Schmeckt furchtbar!«
» Schweine essen ihre eigene Scheiße, das sind grauenhafte Tiere!«
Und abgesehen davon, dass die Hamburgerketten eigentlich vor allem Rindfleisch verarbeiten, saß Mehmet daneben, nickte entrüstet mit. Gesagt hat er nichts, aber es war klar ersichtlich, dass Schweinefleisch eine völlig unzumutbare Angelegenheit war, und er, Mehmet, eher verhungern würde, als ein Schweineschnitzel zu essen. Wir haben das Nahrungsproblem dann also schweinefleischfrei gelöst, aber am nächsten Tag hatte ich wieder mit Mehmet Dienst, als zwei Flüge ausfielen und wir auf einmal relativ viel Zeit hatten. Also sagte ich zu ihm: » Komm, wir gehen mal was Gutes essen.« Und dann gingen wir zu Tegut, einer ganz ordentlichen Supermarktkette, an die Essenstheke, wo ich mir eine kleine Schweinshaxe aussuchte. Plötzlich hörte ich neben mir Mehmet sagen:
» O Mann, gute Idee! Die nehm ich auch! Eine Schweinshaxe!«
Ich sah ihn an. Wahrscheinlich hatte ich mich verhört. Kann ja immer mal vorkommen. Da hat man vielleicht schlecht geschlafen oder eine Erkältung ist im Anzug, und dann sagt jemand » Tofuwürstchen« und man versteht prompt » Schweinshaxe«.
Oder vielleicht war’s auch Sarkasmus. Andererseits schob die Dame hinter der Theke eben zwei glänzende Schweinshaxen über den Tresen. Und Mehmet holte sich freudestrahlend einen der beiden Teller. Das sah nicht sarkastisch aus, sondern hungrig.
Wir luden also unsere Haxen auf unsere Tabletts, und auf dem Weg zur Kasse fragte ich ihn: » Du, Mehmet…?«
» Hmmm?«
» Was wird denn das
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