Die Braut des Herzogs (German Edition)
aber selbst überrascht, als er sie unvermittelt losließ und mit den Worten: »Was zum Teufel …« zur Türe starrte.
Olivia fuhr herum und sah, daß jemand den Raum betreten hatte und nun die Szene betrachtete, die sich ihm darbot. Sie zog überrascht den Atem ein: Der Gentleman war ein Traum von einem Mann, groß und breitschultrig, mit feingeschnittenen Gesichtszügen und einem auffallend energischen Kinn. Sie hatte ihn noch nie gesehen und fragte sich, wer er wohl sein könnte.
Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. In seinen dunkelbraunen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten wußte.
»Ich denke, George, die junge Dame kann deine Gegenwart entbehren«, sagte der Fremde nun in gelangweiltem Tonfall, den Blick nicht von Olivia wendend.
Der so Angesprochene ballte kurz die Fäuste, als wolle er auf den Eindringling losgehen. Dann schien er es sich anders zu überlegen, er verbeugte sich steif vor Olivia, murmelte eine Entschuldigung, machte kehrt und verließ, ohne den Fremden eines weiteren Blickes zu würdigen, den Raum.
Diese unerwartete Gefügigkeit verstärkte Olivias Interesse an dem Unbekannten. Wer mochte er wohl sein? In den nächsten Tagen sollte sie sich noch oft darüber wundern, warum sie nicht gleich auf die richtige Antwort gekommen war. Denn wer sonst sollte das Recht haben, ungestraft so frei über George zu verfügen, als das Oberhaupt der Familie, das noch dazu, wenn auch nur für kurze Zeit, einmal sein Vormund gewesen war?
Sie hatte sich jedoch schon ein derart anderes Bild von Wellbrooks geschaffen, daß sie in diesem Augenblick weit davon entfernt war, die Wahrheit auch nur zu erahnen.
Das einzige, das sie mit Sicherheit wußte, war, daß sie viel darum gegeben hätte, diese Begegnung ungeschehen zu machen. Wie gerne hätte sie den Fremden unter normalen Umständen kennengelernt. Der Blick aus den tief dunklen Augen machte sie unsicher, und so sagte sie mit bedeutend weniger Herzlichkeit, als sie empfand: »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Sir. Wenn Sie erlauben, werde ich jetzt in den Ballsaal zurückkehren. Meine Tante wird mich sicher schon vermissen.«
Sie wartete kurz, ob der Gentleman ihr noch etwas sagen wollte. Dieser verbeugte sich jedoch nur und hielt ihr die Türe auf.
Als Olivia den Ballsaal betrat, merkte sie, daß ihr der Unbekannte nicht gefolgt war. Sie fand das äußerst bedauerlich, hätte sie doch zu gerne erfahren, wer er war.
XIV .
Am nächsten Vormittag saß Olivia alleine im kleinen Salon, bereit, etwaige Morgenbesucher zu empfangen.
Tante Mable hatte überstürzt das Haus verlassen, als ihr der Gedanke gekommen war, ihr Neffe könnte sich verpflichtet fühlen, ihr, gemeinsam mit seiner Gattin, einen Abschiedsbesuch abzustatten, bevor sie die Rückreise nach Kent antraten. »Dies, meine Liebe, wäre mehr, als ich ertragen könnte!« hatte sie erklärt und Olivia, die es trotz dieser drohenden Gefahr vorgezogen hatte, zu Hause zu bleiben, eindringlich aufgefordert, sich von den beiden nicht aufregen zu lassen. Sie solle keine Skrupel haben, sie kurz abzufertigen, da sie wirklich nicht zu besonderer Höflichkeit verpflichtet wäre. Dann hatte sie sich beeilt, im Hause ihrer Freundin Linham Zuflucht zu suchen.
Olivia hoffte, daß aufgrund des Balles, der bis in die Morgenstunden gedauert hatte, nicht allzu viele Besucher vorsprechen würden. Sie hatte ihrer Tante erklärt, daß sie den Roman weiterlesen wolle, der so spannend geschrieben sei, daß es schwierig sei, sich loszureißen. Nun lag das Buch achdos in ihrem Schoß.
Ihre Gedanken schweiften zurück zum letzten Abend. Immer wieder erschien ein feingeschnittenes Gesicht mit tiefdunklen Augen vor ihr. Unzählige Fragen blieben unbeantwortet. Wer war er? Wie kam es, daß er so unvermittelt in den Salon getreten war? Warum hatte sie ihn noch nie vorher gesehen? Was dachte er über sie? Verachtete er sie, da er sie in den Armen von George Romsey angetroffen hatte? Überrascht stellte sie fest, wie wichtig es ihr war, daß der Fremde eine gute Meinung von ihr hatte. Sie mußte sich eingestehen, daß dieser Mann sie mehr beeindruckte als jeder andere, den sie jemals kennengelernt hatte.
Sie hatte sich doch wohl nicht in sein gutaussehendes Gesicht verliebt! Verliebt? Welch ein absurder Gedanke! Oder doch nicht?
Der Butler, der soeben eingetreten war, schreckte sie aus ihren Gedanken: »Seine Gnaden der Herzog von Wellbrooks wünscht Ihnen seine Aufwartung zu machen«, kündigte er an. Seine
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