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Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Titel: Die Breznkönigin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Sternberg
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verteilt. Getrunken hab ich nämlich auch schon seit Stunden nichts mehr. Dann laufe ich, die leere Flasche wie eine Säuferin umkrallt, zu Gleis 33, von wo aus mein Zug fährt.
    Man sollte meinen, sechs Stunden Tiefschlaf würden einen etwas klarer im Kopf machen, hellsichtiger, klüger. Aber nichts da, ich bin noch genauso durcheinander wie gestern Nacht. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass ich zwar zum Gleis laufe, dann aber beinahe vergesse, auch in den Bummelzug einzusteigen, der da auf seine Abfahrt wartet. Ich stehe einfach nur da und glotze gedankenverloren vor mich hin, und mache erst dann einen hysterischen Satz durch die Tür, als eine warnende Durchsage aus den Lautsprechern dringt. Himmelherrschaftszeiten, das war knapp!
    Ich lasse mich in einen Sitz fallen, beruhige mich einigermaßen von meinem Schrecken und starre schon Minuten später wieder vor mich hin.
    Ich bin mir darüber im Klaren, dass es klug wäre, daheim anzurufen und Bescheid zu geben, dass ich auf dem Heimweg bin. Bestimmt würde mich der Papa vom Bahnhof abholen, das macht er immer und auch durchaus gern. Aber meine Glieder sind so schwer, dass ich einfach nicht die Kraft aufbringe, das Handy aus der Tasche zu ziehen.
    Und dann ist da noch diese andere Sache: Ich glaube, ich will mir noch gar nicht eingestehen, dass ich aus Berlin abgehauen bin. Ich meine, es ist nicht zu übersehen, dass ich das getan habe, oder? Ich habe kapituliert und bin auf dem Weg nach Hause. Aber alles in mir sträubt sich dagegen, es vor mir zuzugeben.
    Die Fahrt durchs bayerische Oberland dauert keine Stunde, dann bin ich auch schon da. Der Bahnhof von Bad Tölz ist ein gedrungenes Gebäude, über dem sich ein wehrhaft aussehender Turm erhebt. Ich habe das alles schon Hunderte Male gesehen, und doch ist mir früher nie aufgefallen, wie zutiefst bayerisch dieser Bahnhof wirkt, wie altmodisch und behäbig. Alles um mich herum wirkt plötzlich altmodisch und behäbig, die schwerfälligen Häuser mit den fast vollkommen flachen Dächern, die hölzernen Läden vor allen Fenstern, das kleine, taubengraue Häuschen, das man hier Busbahnhof nennt. Alles sieht aus, als sei es nur dazu da, dass sich die Leute darin verschanzen, vor dem Leben da draußen, und vor den Veränderungen, die es manchmal mit sich bringt. Ich habe das lang genug selbst getan, aber jetzt, wo ich hier stehe, ist es, als würde sich irgendwo in mir drin ein Rolltor ratternd schließen, und mit einem Mal sinkt meine Stimmung schlagartig.
    Da bin ich also wieder, verdammt.
    Hier in Bayern, wo ich doch immer nur weg wollte, mein ganzes Leben lang, und dann schaffe ich endlich den Absprung und alles geht schief. Es ist furchtbar. Ich möchte mich am liebsten auf die Treppe vor dem Haupteingang setzen und warten, bis mich ein Unwetter von den Stufen fegt.
    Da bin ich wieder.
    Ich rufe den Papa immer noch nicht an, dabei könnte er in einer halben Stunde hier sein, wenn er ein bisschen aufs Gas steigt und nicht so tritschelt wie gewöhnlich. Stattdessen steige ich in den Überlandbus, der sich wenig später um die Ecke schiebt, kaufe beim Fahrer ein Ticket und lasse mich auf einen Platz ganz weit hinten sinken. Ich lehne meine Stirn an die Scheibe, die sich, obwohl es draußen warm und sonnig ist, angenehm kalt anfühlt, und starre auf die Landschaft, die langsam an meinem Fenster vorüberzieht. Natürlich ist mir bewusst, wie schön die Welt dort draußen ist, die Felder, die sich wie feinster Samt sanft über die Hügel legen, die Wälder und die Weiden, die in harmonischem Wechsel ineinander übergehen, der Himmel, der wie ein zartes Aquarell in die Luft gemalt ist. Aber im Augenblick habe ich keinen Blick für die Lieblichkeiten vor dem Fenster.
    Ich bin wieder da, das spüre ich fast körperlich.
    Wie lange bin ich weg gewesen? Ein halbes Jahr? Es war im Februar, als ich das letzte Mal durch diese Gegend gefahren bin, aber es kommt mir vor, als sei seitdem ein halbes Leben vergangen. Und das stimmt ja auch irgendwie, oder? Ich war glücklich in Berlin, irgendwie bei mir – ein paar Monate Liebe können dreißig Jahre Mittelmaß im Handstreich aufwiegen.
    Der Bus kurvt um eine große Weide herum, ein paar Kühe glotzen wiederkäuend zu mir herüber. Dann biegen wir nach rechts ab. Je länger wir unterwegs sind, umso besser kenne ich die Strecke; es dauert nicht lange und schon ist mir jedes Haus am Straßenrand vertraut. Da vorne kommt der Bachhuber, dort drüben der Brückenwirt, und da rechts

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