Die Bruderschaft der Woelfe
wenn Gaborn sich über die Quelle im unklaren war. Soweit konnten die Greifer noch nicht nach Süden vorgedrungen sein.
Allerdings hatte König Anders von Süd-Crowthen seinem Volk untersagt, die Grenze nach Heredon zu überschreiten, und verbot womöglich auch Mardon, nach Norden zu ziehen, um gegen die Greifer anzutreten. Gaborn fragte sich, ob Mardons Truppen sich König Anders würden stellen müssen.
Vielleicht war das die Quelle der Gefahr.
Oder vielleicht kamen, unabhängig von der Heimsuchung in Nord-Crowthen, Greifer bald irgendwo längs der Grenze an die Erdoberfläche.
Darüber hinaus machte sich Gaborn Gedanken um die
Männer um ihn herum. Den ganzen Tag über hatte er gespürt, daß sie in ungeheurer Gefahr schwebten, und ein großer Teil dieser düsteren Wolke hatte sich gelichtet, nachdem Myrrima den Glorreichen der Finsternis bezwungen hatte.
Doch selbst nach dem Tod des Ungeheuers war das Gefühl einer aufziehenden Gefahr kaum geringer geworden.
Der Tod machte Jagd auf diese Krieger – auf jeden einzelnen von ihnen.
Es stimmte, daß der Erdgeist Gaborn die Erlaubnis erteilt hatte, nach Süden in den Krieg zu ziehen. Ja, er hatte ihn geradezu aufgefordert. Andererseits hatte der Erdgeist ihn aber auch darauf hingewiesen, seinen Boten zu raten, aus Carris zu fliehen.
Angreifen und fliehen? Die widersprüchlichen Eingebungen verwirrten Gaborn.
Hatte der Erdgeist ihm nur deshalb erlaubt anzugreifen, weil er sich danach sehnte? Oder hatte der Erdgeist vielleicht etwas von ihm gewollt, das er nicht benennen konnte? Vielleicht sollten sich diese Männer für eine Sache opfern, die er nicht begriff. Führte er seine Männer in den Tod?
Vielleicht würden nicht alle umkommen. Einige von ihnen würden sicherlich in Carris fallen, vielleicht sogar die meisten.
Und doch ließ der Erdgeist es zu. Führe sie in den Krieg, hatte er gesagt. Viele werden dabei sterben.
Es kam ihm wie ein Bruch seiner Gelübde vor, denn Gaborn hatte geschworen, die zu beschützen, die er Erwählt hatte.
Tatsächlich hatte er dem jungen Agunter gestattet, sich nach Norden zurückzuziehen, weil Gaborn gerade um diesen Jungen solche Angst hatte, auch wenn er sich nicht traute, jemandem davon zu erzählen.
Wie kann ich sie alle retten? überlegte Gaborn.
Vor der Tür hörte er das Klirren eines Kettenhemdes und die dumpfen Tritte von eisernen Stiefeln auf dem Teppich, als ein Ritter die Treppe hinaufstieg. Gaborn gebrauchte seine Erdsinne und wußte, daß der Mann für ihn keine Bedrohung darstellte.
Da sein Zimmer sich ganz oben im Bergfried befand, mußte der Mann gekommen sein, um mit ihm zu sprechen. Gaborn wartete darauf, daß der Ritter an seine Tür klopfte. Statt dessen hörte er, wie der Mann eine Weile draußen stehen blieb, sich dann hinsetzte und schließlich seinen Rücken mit einem erschöpften Seufzer an die verputzte Wand lehnte.
Der Mann getraute sich nicht, ihn zu stören.
Erschöpft stand Gaborn auf, nahm die Kerze und öffnete die Tür. Er warf einen Blick auf den klumpfüßigen Jungen, blickte in sein Herz. Ein guter Junge, genau wie Iome ihm versichert hatte. In den bevorstehenden Schlachten mochte er nicht von Nutzen sein. Er war vielleicht wertlos, zu nichts zu gebrauchen. Aber Gaborn war gefühlsmäßig zu erschöpft, um ihn zurückzuweisen. Er Erwählte ihn.
Der Ritter, der auf dem Fußboden hockte, trug die Farben Sylvarrestas, die schwarze Uniformjacke mit dem silbernen Eber. Seine Uniform wies ihn als Kommandanten aus. Der Mann hatte dunkles Haar und einen gehetzten Blick, ein unrasiertes Gesicht, in dem sich Schmerz und Entsetzen widerspiegelten.
Gaborn hatte ihn noch nie zuvor gesehen, wenigstens nicht, soweit er sich erinnern konnte, was dafür sprach, daß dieser Kommandant möglicherweise unter Herzog Groverman diente.
»Euer Hoheit«, grüßte der Kerl und erhob sich umständlich.
Leise, weil er Iome nicht wecken wollte, fragte Gaborn:
»Habt Ihr eine Nachricht für mich?«
»Nein, ich…«, stammelte sein Gegenüber. Er fiel auf ein Knie und schien mit sich zu ringen, als sei er unsicher, ob er sein Schwert ziehen und es darbieten sollte.
Gaborn gebrauchte seinen Erdblick und blickte in das Herz des Kommandanten. Er hatte eine Frau und Kinder, die er liebte. Die Soldaten, die seinem Befehl unterstanden, betrachtete er wie Brüder. »Ich Erwähle Euch«, sagte Gaborn.
»Ich Erwähle Euch für die Erde.«
»Nein!« jammerte der Bursche, dann hob er den Kopf, und im flackernden
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