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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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sie.
    »Genau wie ich.«
    Um sie herum loderten die Flammen auf, auf der Straße wimmelte es von Leuten, die schrien und geschäftig umherliefen. Doch Gerardo sah nur sie und diesen Jungen, der in einem Hauseingang auf dem Boden lag und schlief.
    Clara seufzte. Die Absätze ließen sie ein wenig größer erscheinen, und mit ihrer schlanken Figur, die das nasse Kleid noch betonte, wirkte sie äußerst begehrenswert. »Weißt du, was es heißt, in einer Familie aufzuwachsen, wo dein Vater mit dir anstellt, was er will, und deine Mutter noch froh darüber ist, weil er sie dann in Ruhe lässt?«, fuhr sie ihn an und klang nun wieder angriffslustig. »Weißt du, was es heißt, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass dein kleiner Bruder nicht mehr da ist, weil man ihn verkauft hat?« Sie unterbrach sich kurz, und in dieser Zeit verstummten die Geräusche um sie herum völlig. »Nein, das weißt du nicht. Du kannst dir ein solches Leben nicht einmal vorstellen.«
    Gerardos Ausflug zu den Bettlern im vergangenen Frühling hatte ihn viel über das Leben der armen Leute gelehrt. Doch es war eine Sache, sich das Ganze einmal anzusehen, und sei es auch noch so sehr aus der Nähe, aber etwas ganz anderes, in diese Wirklichkeit hineingeboren zu sein und in ihr leben zu müssen, ohne jede Aussicht, ihr zu entrinnen. Doch es gab etwas, das er Clara nicht verzeihen konnte. Er wusste nicht genau, was es war, aber es schwelte in ihm wie Glut unter der Asche.
    Um Zeit zu gewinnen, wandte er sich der Straße zu, wo ihm ein mittelgroßer, untersetzter Mann auffiel, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Er stand aufrecht mitten auf der Straße und betrachtete versonnen das Feuer. Als ein Teil eines Daches einstürzte und ein dicker Balken auf das Nachbarhaus fiel, welches trotz all der Bemühungen der Männer mit den Äxten und Spitzhacken Feuer fing, sah Gerardo ihn lachen.
    »Du musst es nicht begreifen«, sagte Clara leise.
    Gerardo bemerkte, dass die junge Frau auf ein Wort von ihm wartete, auf ein Zeichen, dass er sie verstand. Doch im selben Moment drehte der Mann auf der Straße sich um und entfernte sich mit schnellen Schritten. Vielleicht war es nur ein Verrückter wie viele andere, die jedes außergewöhnliche Ereignis anzog. Aber plötzlich erinnerte er sich, wo er ihm schon einmal begegnet war, und sein Herz begann schneller zu schlagen.
    »Ich muss gehen«, sagte er hastig.
    »Dann geh.«
    Gerardo sah ihr in die Augen und entdeckte dort keine Spur mehr von Tränen, nur Entschlossenheit. »Aber ich werde zurückkommen. Wo kann ich dich finden?«
    »Lass nur. Mein Bruder und ich brauchen dein Mitleid nicht.«
    Sie drehte ihm den Rücken zu und beugte sich über Masino, der weiterhin schlief. Er musste zu Tode erschöpft sein. Gerardo hätte gern noch etwas gesagt, es erklärt. Aber der Mann würde gleich um die Ecke biegen und dann verschwunden sein.
    Er beugte sich zu Clara hinunter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie ließ ihn gewähren, doch sie drehte sich nicht um. Widerstrebend zog Gerardo die Hand zurück und rannte los, während über ihm dichter Schnee fiel und in seiner Brust die Gefühle miteinander rangen.
    Als Azzone die in Dunkelheit gehüllte Medizinschule betrat, konnte er niemanden entdecken. Der Hörsaal war leer, das Stroh auf dem Fußboden war seit Tagen nicht gewechselt worden, und als er sich auf die Marmorplatte des Tisches in der Mitte des Raumes stützte, wurde seine Hand staubig. An den Ecken des Tisches waren drei Öllampen auf Sockeln angebracht, aber sie brannten nicht. Durch ein Loch in der hinteren Wand, das kaum größer war als eine Tür, fiel ein flackerndes Licht herein. Azzone lauschte und hörte ein Kratzen, als wenn jemand etwas mit Kreide auf eine Wand zeichnete.
    Mondino musste dort sein. Er zog lautlos sein Schwert aus der Scheide und näherte sich auf Zehenspitzen.
    Als er durch das Loch in das im Bau befindliche Zimmer spähte, wurde er bitter enttäuscht. Die Lampe, die an der vierten Tischecke gefehlt hatte, beleuchtete niedrige Stapel Ziegelsteine, einen Haufen Mörtelsand und verschiedene Maurerwerkzeuge, die auf dem festgestampften Boden lagen. Am Ende des Raumes stand nicht etwa Mondino, sondern sein Sohn, der ihn empfangen hatte, als sie den verletzten Zimmermann in sein Haus gebracht hatten. Azzone versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern, aber er wollte ihm zunächst nicht einfallen.
    Gabardino, richtig, so hieß er. Ein schlanker, hochmütig wirkender

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