Die Bruderschaft des Feuers
Stück Papyrus geschrieben worden, und die Tinte so verblasst, dass sie sich in eine schwache rötliche Spur verwandelt hatte. Aber was ihn vor allem von der Glaubwürdigkeit des Dokuments überzeugt hatte, waren die römische Kursivschrift, die schon seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt wurde, und der Stil, in dem der Brief abgefasst war: in einem Latein, das sich sehr von dem der gegenwärtigen Zeit unterschied. Visdomini blieb vor dem Tisch stehen, und während ihm tausend Gedanken durch den Kopf gingen, las er ihn zum unzähligsten Mal.
Ich, Titus, Zenturio der dem Apollon geweihten XV . Legion, eingeweiht in die Geheimnisse des Mithras, den die Römer heute Sol invictus nennen, vertraue zum ersten Mal mein Wissen einem Schriftstück an. Die Mysterien, wie ich sie kenne, haben nichts gemein mit der verwässerten Version unserer Religion, mit der sich in diesen verdorbenen Zeiten so viele rühmen, die sich für Eingeweihte halten. Die Liturgie ist in Latein, damit die Religion auch von den einfachen Leuten verstanden wird. Doch ihr Kern besteht aus dem wahren und althergebrachten Wissen der weisen Magier aus Persien. In dem Buch, welches du neben diesem Brief finden wirst, wird das Ritual beschrieben, mit dem man den heiligen Haoma-Saft zubereitet, der eine direkte Verbindung zu Gott ermöglicht. Unter den römischen Soldaten ist der Haoma durch Wein ersetzt worden, und viele der neuen Eingeweihten haben noch nie von der heiligen Liane und der Verwendung ihres Saftes gehört. Doch ich habe ihre Samen aus dem fernen Orient mitgebracht und nach einem geeigneten Platz gesucht, um sie auszusäen. Zudem wirst du in dem Buch Rezepte für die Zubereitung von Arzneien finden, die im Römischen Reich noch unbekannt sind.
Nur ein Geheimnis war mir nicht zu entschlüsseln bestimmt: wie man das Göttliche Feuer beherrschen kann. Die Miniatur, die dieses Geheimnis birgt, hat sich jedem meiner Deutungsversuche widersetzt. Schließlich habe ich hingenommen, dass dieses Rätsel nicht für mich bestimmt ist. Und nun bleibt mir keine Zeit mehr, es zu enthüllen.
Während ich auf Reisen war, hat man mich hier in Bononia als Deserteur denunziert, und die Mitbrüder, die mich verborgen haben, sind alle bei dem Versuch, mir bei meiner Flucht vor der Verhaftung zu helfen, getötet worden. Die Stadt ist voll von Legionären, die nach mir suchen, und ich weiß, dass mir kein Ausweg bleibt. Meine Reise endet hier.
Ich habe bereits die Tür zum Mithraeum von innen zugemauert, damit niemand sie finden kann, und jetzt werde ich eine so große Menge des Haoma zu mir nehmen, dass sie mich direkt in die Arme meines Gottes bringen wird und nur meine sterbliche Hülle zurückbleibt.
Ich habe den Tempel nicht nur mit Steinen verschlossen, sondern auch mit einem Gebet, in dem ich Gott angefleht habe, dass es nur einem Eingeweihten meines Ranges gelingen möge, ihn zu entdecken. Du, der du eines Tages diese Zeilen lesen wirst, wisse, dass sie für dich verfasst wurden. Wenn du bis hierher gekommen bist, bedeutet das, du bist auserwählt worden. Du bist der neue Pater. Ich hinterlasse dir die genaue Beschreibung der Mysterien, und für dich sind auch die Samen der Haoma-Pflanze, die du in Honig eingelegt in der Schale neben dem Manuskript finden wirst. Dir ist die Aufgabe bestimmt, die Religion des größten Gottes in ihrer reinsten Form weiterzutragen.
Für dich ist auch die Miniatur bestimmt, die das Geheimnis des Göttlichen Feuers in sich birgt. Wenn es dir gelingt, sie zu entschlüsseln, wirst du im Besitz einer großen Macht sein, aber sei vorsichtig. Es liegt im Wesen des Feuers, dass es keinen Herrn kennt, und es könnte auch jenen verbrennen, der es heraufbeschworen hat.
Visdomini legte den Brief auf den Tisch und kratzte sich am Kinn. Jetzt wusste er drei wichtige Dinge, und alle drei ließen seine Hände zittern. Erstens, dass der Pater die Schriftrolle zusammen mit dem Buch und der Schale gefunden haben musste, von denen in dem Schreiben die Rede war, und automatisch angenommen hatte, er wäre nun in den höchsten Initiationsrang der Sekte eingesetzt worden. Von dem Zeitpunkt an musste er nach Jüngern gesucht haben, vor allem unter den angesehensten Bürgern der Stadt. Konnte es sein, dass die ganze Geschichte, man müsse Bologna von dem Bösen läutern, nur die Ausgeburt eines kranken Hirns war?
Zweitens schien das Göttliche Feuer keine Strafe zu sein, sondern etwas, das den Eingeweihten zur Verfügung stand, eine
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