Die Bruderschaft
den Strand und das Meer sehen und die Schreie der Möwen hören. Er fand es beinahe unglaublich, dass er das Ding jetzt schon seit zwölf Jahren gemietet hatte. Anfangs hatte er gern auf der hinteren Veranda gesessen, wo ihn das Telefon und etwaige Mandanten nicht störten, und stundenlang auf die nur zwei Blocks entfernte Weite des Atlantiks gestarrt.
Er stammte aus Scranton, North Dakota, und wie alle, die sich aus der Kälte hierher geflüchtet hatten, war er es nach einer Weile leid geworden, aufs Meer zu sehen, barfuss am Strand entlang zu laufen und den Möwen Brotkrumen zuzuwerfen. Inzwischen schlug er die Zeit lieber in seinem verschlossenen Büro tot.
Trevor hatte eine Heidenangst vor Richtern und Gerichtssälen. Das war zwar ungewöhnlich und in gewissem Sinne sogar ehrenwert, engte ihn aber auch in seiner Berufsausübung ein. Er musste sich auf Schreibtischarbeit beschränken, auf Grundstücksüberschreibungen, Testamente, Kaufverträge und Bauanträge - all die kleinen, langweiligen, geisttötenden Vorgänge, von denen ihm während des Jurastudiums niemand erzählt hatte. Hin und wieder übernahm er einen kleinen Drogenfall, bei dem es nicht zu einem Prozess kam, und durch einen dieser unglücklichen Mandanten, der in Trumble einsaß, hatte er schließlich den Ehrenwerten Joe Roy Spicer kennen gelernt. Binnen kurzem war er der offizielle Anwalt der drei ehemaligen Richter Spicer, Beech und Yarber - der Bruderschaft, wie auch er sie nannte.
Er war nicht mehr und nicht weniger als ein Kurier und schmuggelte Briefe, die als anwaltliche Dokumente deklariert waren und somit nicht kontrolliert werden durften. Er gab ihnen keine fachlichen Ratschläge, und sie fragten ihn auch nicht danach. Er verwaltete ihre ausländischen Konten und nahm die Anrufe von Familienangehörigen ihrer in Trumble einsitzenden Mandanten entgegen. Er war der Verbindungsmann für ihre schmutzigen kleinen Geschäfte, und weil er dadurch Gerichtssälen, Richtern und gegnerischen Anwälten aus dem Weg gehen konnte, war Trevor damit ganz zufrieden.
Außerdem war er ein Komplize und konnte, wenn je etwas herauskam, leicht angeklagt werden, doch das machte ihm wenig Sorgen. Diese Angola-Sache war absolut brillant, denn die Opfer würden nie und nimmer zur Polizei gehen. Es war leicht verdientes Geld und der Ertrag ließ sich noch steigern. Trevor war bereit, das Risiko einzugehen.
Er schlich sich aus dem Büro, ohne von seiner Sekretärin gesehen zu werden, und fuhr in seinem restaurierten VW-Käfer - Baujahr 1970, keine Klimaanlage - davon. Zunächst fuhr er auf der First Street in Richtung Atlantic Boulevard. Zwischen den Häusern hindurch war das Meer zu sehen. Trevor trug eine alte Khakihose, ein weißes Hemd, eine gelbe Fliege und ein blaues Seersucker-Jackett - alles reichlich zerknittert. Bald kam er an Pete’s Bar and Grill vorbei, der ältesten Bar am Strand, die zugleich seine Stammkneipe war, auch wenn sie inzwischen von den College-Studenten entdeckt worden war. Er hatte dort eine sehr alte Rechnung über 361 Dollar offen stehen, fast ausschließlich für Coors und Eemon Daiquiris, und er war fest entschlossen, diese Schulden zu bezahlen.
Am Atlantic Boulevard bog er nach Westen ab, kämpfte sich durch den Verkehr in Richtung Jacksonville und fluchte auf die wuchernde Stadt, die Staus und die Wagen mit kanadischen Nummernschildern. Dann kam er zu der Umgehungsstraße, die nördlich am Flughafen vorbeiführte, und bald war er im tiefsten flachen Florida.
Fünfzig Minuten später parkte er auf dem Parkplatz von Trumble. Bundesgefängnisse sind schon was Großartiges, dachte er nicht zum ersten Mal. Jede Menge Parkplätze in der Nähe des Haupteingangs, hübsch gestaltete, von den Insassen täglich gepflegte Grünflächen und moderne, saubere Gebäude.
Am Tor sagte er »Hallo, Mackey« zu dem weißen Wärter und begrüßte den schwarzen mit »Hallo, Vince«. Rufus saß am Empfang und durchleuchtete den Aktenkoffer, während Nadine den Papierkram für seinen Besuch erledigte. »Was machen die Barsche?« fragte er Rufus.
»Sie beißen nicht an.«
In Trumbles kurzer Geschichte gab es keinen Anwalt, der seine Mandanten so oft besuchte wie Trevor, Man machte noch ein Foto von ihm, drückte ihm einen Stempel mit unsichtbarer Farbe auf den Handrücken und führte ihn durch zwei Türen und einen kurzen Korridor. »Hallo, Link«, sagte er zu dem nächsten Wärter.
»Morgen, Trevor.« Link war für den Besuchsraum zuständig, einen
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