Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
geschrieben habe. Sverres Engländer haben ihn zu schrecklichen Dingen verführt, ganz abscheulichen Dingen. Diese Dinge mögen in London vorstellbar sein, aber für mich existiert er nicht mehr. Manch einer mag finden, das seien harte Worte. Aber ich kann nicht anders, er hat mich zweifach verraten. Für Deine verzweifelte Flucht kann ich größeres Verständnis aufbringen, auch wenn es mir schwerfällt, sie zu verzeihen. Weil ich glaube, dass Deine Gefühle ebenso groß waren, wie es meine für Ingeborg waren und sind. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Liebe selbst den stärksten Mann in die Verzweiflung treiben kann. Dich, indem Du schändlich betrogen wurdest, und mich durch die Hartnäckigkeit des Barons.
Einen entscheidenden Unterschied gibt es jedoch. Für mich gab es Hoffnung, aber für Dich nur die große Enttäuschung. Ich weiß nicht, was ich selbst in Deiner Situation getan hätte. Hätte das Schicksal es anders gewollt, wäre ich vielleicht jetzt in Afrika und Du auf der Hardangervidda. Nein, ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich so gut nach Afrika gepasst hätte wie Du.
Meine Finger werden allmählich starr, draußen tobt ein ungewöhnlich früher Schneesturm, und alle Arbeit musste eingestellt werden. Deswegen will ich mich abschließend kurzfassen.
Meine Pflichten bei der Bergenbahn sind bald ein abgeschlossenes Kapitel, unsere Schuld abbezahlt. Wenn ich es recht verstehe, bist Du ebenfalls bald am Ende der Reise angekommen, bei dem großen See, dessen Name mir im Augenblick entfallen ist. Wir haben beide nützliche Erfahrungen gesammelt, und zwar unter so unterschiedlichen Bedingungen, wie sie die Welt nur zu bieten hat. Sollten wir uns nicht zusammentun, um neue Brücken zu bauen?
Diese Frage stellt Dir Dein Dich liebender Bruder mitten in einem Schneesturm.
Lauritz
Oscar las den Brief zweimal langsam durch. Er weinte, dagegen war nichts zu machen. Zwischendurch hatte er sich ein Glas Schnaps eingegossen, das jetzt leer war.
Als ersten Impuls empfand er eine lähmende Ohnmacht und Scham. Natürlich war er ein Verräter oder war es zumindest gewesen. Das war schlimm genug und schmerzte ihn bei der Lektüre von Lauritz’ Brief am meisten.
Lauritz kämpfte also allein dort oben auf der Hardangervidda,
weil Sverre offenbar nach London geflohen war. Das war eine Neuigkeit für ihn. Hatten Sverres englische Freunde ihn derart verwirrt, dass es seinen weiteren Lebensweg bestimmte? Das war nicht normal, wenngleich auch nicht die Katastrophe, von der Lauritz unheilvoll sprach. Was vermutlich mit seinem eigentümlichen Glauben zusammenhing. Ein Mann, der mit einem Mann schläft, gehört gesteinigt. Eine merkwürdig primitive und unerwartete Ansicht eines ansonsten so moralischen und modernen Menschen wie Lauritz.
Ob es sich bei der englischen Lebensweise um kindische Spiele oder eine Krankheit handelte, war schwer zu sagen. Notfalls müsste er Sverre zu Königin Mukawanga zum Fest am Ende der Regenzeit einladen. Was einem dort widerfuhr, würde selbst den verstocktesten englischen Päderasten heilen.
Im Zelt war es sicher über vierzig Grad warm, darum ging Oscar hinaus und duschte nochmals rasch, bevor er sich wieder dem Brief widmete.
Baron von Freital war so gnädig gewesen, Lauritz als Handlanger auf seiner Jacht mitsegeln zu lassen. Entweder handelte es sich dabei um eine Geste der Verachtung, um Lauritz in seine Schranken zu weisen, oder um schadenfrohe Bösartigkeit, Ingeborgs und Lauritz’ Hoffnungen ein weiteres Mal zu zerschlagen.
Er saß nackt auf dem Stuhl vor seinem kleinen Schreibtisch und merkte, wie ihn Rachefantasien übermannten, als hätte man ihn ebenso gekränkt wie Lauritz.
Und wenn man jetzt ein Segelboot baute, das in der Größe der kaiserlichen Klasse in Kiel entsprach? Es gab in Bergen schließlich eine Reihe Schiffbauer wie jene, die den
Versuch der jungen Seilerlehrlinge entdeckt hatten, ein maßstabgetreues Modell des Gokstadschiffes zu bauen.
Wenn man den Rumpf aus glattem, lackiertem Mahagoni fertigte statt in Klinkerbauweise aus Eichenplanken oder wie auch immer die großen Spielzeuge für unfassbar reiche Männer aussahen … Dadurch ließe sich der Wasserwiderstand wahrscheinlich um dreißig Prozent verringern. Ein technisches Problem bestand vermutlich darin, den Rumpf komplett abzudichten, aber das musste sich lösen lassen. Der Rest war eine Frage der Naturgesetze, der Mathematik, der Segelfläche im Verhältnis zur Länge und zum Gewicht des
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