Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
schlief Lauritz unruhig.
    Wie gewöhnlich stand er am nächsten Morgen um sechs Uhr auf und setzte sich im Salon des Hotels neben das Telefon, um zu warten. Er wagte es kaum, seinen Platz zu verlassen, um zu frühstücken, aber es dauerte bis gegen neun Uhr vormittags, bis das Telefon endlich klingelte. Joseph Klem ging feierlich auf den Apparat zu, hob den Hörer ab, drückte die Sprechmuschel an den Mund und sagte dumpf: »Finse, Handelsmann Klem.«
    Das Gespräch war wie erwartet für Lauritz. Die Stimme am anderen Ende der Leitung stellte sich als Bankdirektor Sievertsen von Bergens Privatbank vor. Lauritz war erleichtert, dass es nicht der kleine Giftzwerg war.
    Was ihm der Bankdirektor mitzuteilen hatte, klang
recht konfus. Er wirkte nervös und sprach mit seltsam gepresster Stimme. Offenbar wünschte er eine Unterredung, sobald Lauritz das nächste Mal in der Stadt war, um die Disposition vorhandener Mittel zu besprechen sowie den Erwerb des Horneman-&-Haugen-Aktienpostens abzuschließen.
    Lauritz wusste nicht, wie er die Mitteilung einordnen sollte. War es Ingeborg wirklich gelungen, Geld von ihrer Tante in Leipzig zu bekommen? Ja, so musste es sein!
    Lauritz vereinbarte einen Termin in drei Tagen um drei Uhr nachmittags. Einige Stunden später begab er sich mit raschen Schritten das Kleivegjelet hinauf zur Baustelle. Johan Svenskes Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen, weil er sich am wohlsten fühlte, wenn ihm Lauritz nicht über die Schulter schaute und alles kontrollierte. Er war sichtlich erleichtert, als Lauritz ihm mitteilte, dass er nur einen Tag bleiben würde, weil er nach Bergen müsse.
    An der Ausführung der Arbeiten gab es nichts auszusetzen. Die Brückenkonstruktion war stabil und im absoluten Gleichgewicht, außerdem hatte man viel weniger Zement verwendet als berechnet. Die Steinblöcke waren exakt behauen, und an keinem anderen Ort der Erde hätte man Zement in den Fugen benötigt. Hier ging es jedoch weniger darum, die Konstruktion zusammenzuhalten, als die Fugen abzudichten, durch die Feuchtigkeit eindringen konnte. Unten im Tiefland lief das Wasser einfach zwischen den Werksteinen hindurch, ohne Schaden anzurichten, aber hier verwandelte sich dieses Wasser die Hälfte des Jahres über blitzschnell in Eis, und Eis besaß eine unglaubliche Sprengkraft.
    Zur Debatte stand jetzt nur noch, wie lange man in
Erwartung des ersten Schnees noch weiterarbeiten konnte. Es war bereits September, eigentlich hätte es längst schneien müssen, und niemand wusste, wie lange das schneefreie Wetter anhalten würde. Johan fand, man solle vorerst weitermachen. Sie hatten bereits eine neue Schicht Planen angebracht, mit der sie schnell die empfindlichsten Teile der Konstruktion, beispielsweise den Schlussstein, abdecken konnten, wenn der Schnee kam.
    Lauritz fielen keine weiteren Einwände ein. Johan verabschiedete sich mürrisch und kletterte eine Leiter hinunter. Er wollte das Einpassen von zwei Blöcken unten am Sockel beaufsichtigen. Lauritz blieb noch eine Weile stehen, die Ellbogen auf ein massives Holzgeländer gestützt, und betrachtete die wunderbare Aussicht über die Täler, das Gebirge und die Wasserfälle. Er musste gegen sein Schwindelgefühl ankämpfen. Da kam ihm plötzlich eine Idee. Er zog seinen Rechenschieber aus der Tasche und rechnete aus, dass der Zug bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern in der Stunde die Brücke in 11,8 Sekunden passieren würde. Verrückt. Aus dem einen Tunnel ins grelle Licht, meilenweite Aussicht, und schwups in den nächsten Tunnel hinein. Keiner der Reisenden würde einen Gedanken auf die Leute verschwenden, die die Brücke erbaut hatten. Wenn er Ingeborg auf die erste Reise mitnahm, musste er ihr rechtzeitig Bescheid sagen, damit sie nicht gerade in ein Buch schaute, wenn sie über die Brücke fuhren.
    Würden sie sich in Bergen niederlassen? Ja, schließlich wäre er ja Teilhaber einer dort ansässigen Baugesellschaft, von dort aus würden sie weitere Brückenprojekte in Angriff nehmen und vielleicht sogar ein kleines Vermögen anhäufen, das zumindest seinen und hoffentlich auch Ingeborgs
Ansprüchen genügen und ihnen ein »anständiges Leben« garantieren würde.
    Plötzlich befürchtete er, zu voreilig zu sein. Sein erster Besuch bei Bergens Privatbank war eine riesige Enttäuschung gewesen, eine schreckliche Demütigung. Auf Bankleute war kein Verlass. Aber wenn dieses Mal auf der Bank alles gut ging, sagte er sich wie eine Beschwörungsformel

Weitere Kostenlose Bücher