Die Brueder des Kreuzes
hatte ihm im Schlaf eine Hand über Mund und Nase gelegt. Doch bevor es ihm gelang, sich aufzusetzen oder um Hilfe zu rufen, nahm der Druck der Hand zu und schob ihn zurück, und eine scharfe Stimme zischte ihm ins Ohr und befahl ihm, still zu sein. Es war eine Frauenstimme, und nun fiel ihm wieder ein, wo er war, und sein Blick wurde klar, sodass er das Gesicht der Frau erkennen konnte. Er erstarrte. Joannas Augen waren weit aufgerissen, als hätte sie Angst.
Sie ließ ihn los, setzte sich auf und legte sich die Hand auf die Brust, um tief Luft zu holen.
»Mylady«, flüsterte er. Auch er setzte sich jetzt auf und wandte den Kopf, um einen Blick in den Durchgang zu werfen. »Was ist? Was ist geschehen?«
Sie winkte ab und schüttelte den Kopf. Er sah jetzt, dass sie inzwischen Frauenkleider trug, auch wenn es ein Nachthemd war, voluminös und verhüllend. Es verbarg ihren Körper vor seinen Blicken – und doch brachte es ihm gleichzeitig zu Bewusstsein, dass ihr Körper da war, so nah, dass er ihn hätte berühren können, wenn er die Hand ausgestreckt hätte.
Noch einmal holte sie tief Luft, und die Hand auf ihrer Brust hörte auf zu zittern.
»Guter Gott, Sir, Ihr habt mir einen Schrecken eingejagt. Ich hatte nicht erwartet, dass Euer Erwachen so heftig sein würde – oder so laut. Im ersten Moment dachte ich, gleich käme alle Welt angerannt, um nachzusehen, ob man uns gerade im Schlaf ermordet.«
St. Clair setzte sich noch ein wenig gerader hin. Die Decke war ihm von der Schulter gerutscht, und es wurde kühl. Er war jetzt hellwach und rieb sich die Augen, um auch den letzten Hauch von Schläfrigkeit zu vertreiben.
Joanna sprach jetzt weiter.
»Es ist nichts geschehen, Sir André. Ich konnte nur einfach nicht schlafen. Ich wollte Berengaria nicht stören, also dachte ich, ich sehe nach, ob Ihr wohl so freundlich wärt, Euch eine Weile mit mir zu unterhalten. Ich habe das Feuer wieder angefacht …«
Verwundert, aber geschmeichelt wickelte sich St. Clair aus seiner Decke und begab sich ans Feuer, wo sie nun beide zunächst die Verlegenheit über sein unsanftes Erwachen überwinden mussten. Berengaria hatte sich nicht geregt, also waren sie anscheinend nicht allzu laut gewesen. Dennoch erhob sich St. Clair und trat mit einer Kerze leise in die mittlere Höhle. Er fand niemanden vor und hörte nichts als den Wind draußen vor dem Höhleneingang, und so begab er sich wieder zu Joanna an das Feuer.
Es wurde ein ungewöhnliches Gespräch, denn Joanna fragte ihn, was er von Guido von Lusignan hielt, als Regent wie als Mann. Als er geantwortet hatte, sagte sie ihm ihre Meinung, und diese unterschied sich sehr von allem, was er bislang dazu gehört hatte.
Als Frau, so sagte sie, hatte sie sich zunächst zu ihm hingezogen gefühlt, weil er so vieles in sich vereinte, was sich eine Frau von einem Mann erhoffte: Er war hochgewachsen, kräftig und wohlproportioniert, ähnlich wie ihr Bruder, wenn auch nicht ganz so muskulös. Er hatte ausgezeichnete Zähne, weiß und ebenmäßig, ohne Lücken oder sichtbare Fäulnis. Er hielt sein dunkles Haar und seinen Bart sauber und kurz geschnitten – was so ungewöhnlich war, dass es durchaus bemerkenswert war. Mit seinem dunklen Teint war er ein durch und durch gut aussehender Mann.
Er hatte in den letzten Jahren einiges durchgemacht, und auch seine Kleidung hatte darunter gelitten, doch er hatte sie immer sauber und ordentlich gehalten. Natürlich hatte ihn Richard mit neuen, königlichen Gewändern ausgestattet, doch der Zustand seiner alten Kleider sagte vieles über ihn aus. Dies war ein Mann, der Wert auf seine Erscheinung legte – und so war auch alles, was sie als Frau zu ihm als Mann hingezogen hatte, vollkommen oberflächlich gewesen.
»Hätte ich wirklich tiefere Gefühle für ihn gehegt, hätte ich ihn niemals so kritisch ins Visier genommen. Doch je genauer ich ihn beobachtet habe, desto weniger Liebenswertes habe ich gesehen. Er ist schwach. Ich bin mit Richard als Bruder groß geworden und habe jahrelang an der Seite meines geliebten Gatten William gelebt – ich weiß, was Stärke bedeutet, und ich weiß ebenso, wenn sie nicht vorhanden ist. Auf unseren noblen König Guido ist kein Verlass. Dies hat ihm natürlich den Ruf eingebracht, den zuerst der Deutsche Montferrat und jetzt auch Philip Augustus gegen ihn einzusetzen versuchen –«
Sie brach ab und atmete tief durch.
»Doch er ist der rechtmäßige König, zumindest im Moment, und das ist …
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