Die Brueder des Kreuzes
abzuzählen.
»Denkt an die Verpflichtungen eines Königs, André. Die erste und wichtigste Pflicht ist es, einen Erben zu zeugen, der für den Bestand der Linie sorgt und der Garant für die Sicherheit des Reiches und seines Volkes ist. Die Menschen sind das Reich, und der König ist auf ihr Wohlwollen angewiesen. Ein König, der keinen Erben zeugt, ist untragbar – deshalb sind so viele Königsehen nur von kurzer Dauer. Die Königin muss mit dem Vorwurf des Versagens leben, wenn ihre Nachkommen Töchter sind. Gibt es gar keine Nachkommen, erklärt man sie für unfruchtbar und verstößt sie. Der König selbst ist niemals schuld – es sei denn, man weist ihm sexuelle Abwege nach, die ihn zeugungsunfähig machen. Das muss natürlich ein erschreckender Gedanke für einen Mann von der Natur – und dem Ehrgeiz – meines Bruders sein.«
Joanna ließ diese Worte einige Sekunden zwischen ihnen hängen, bevor sie fortfuhr.
»Wie Ihr sicher wisst, ist es Richard wichtig, dass man ihn als Vorbild betrachtet – furchtlos und unbesiegbar im Kampf, jederzeit bereit, mit anderen zu lachen, zu trinken oder seine Kräfte zu messen. Er zeigt der Welt ein herzliches, lächelndes Gesicht, wenn er den geselligen König von England spielt. Doch dies ist ein König von England, der die Gesellschaft von Frauen meidet, der sich mit hübschen, weibischen jungen Männern umgibt und der es schon von Kindesbeinen an mit dem König von Frankreich getrieben hat. In Frankreich sind ihre Affäre und ihre Eifersüchteleien nur noch der Gegenstand müder Scherze, und die Kunde davon drohte, sich auch unter dem einfachen Volk Aquitaniens, Anjous und anderer Gegenden zu verbreiten. Es waren natürlich die Priester, die das unterbunden haben. Richard mag es gleichgültig sein, was das einfache Volk denkt, doch die Kirche war klüger. Und so hat man sich einer List bedient, um die Menschen in die Irre zu führen.«
Joanna zuckte mit den Schultern.
»Das Volk von England erwartet von seinen Königen, dass sie nicht nur auf dem Schlachtfeld Helden sind, sondern obendrein im Bett. Ihm fehlt jedes Verständnis für die Bruderschaft der Männer, von der Richard träumt, von der Liebe unter Kriegern, die schon Alexander und Caesar pflegten. Um daher jedes Gerede zum Schweigen zu bringen, wurde für Richard ein Abenteuer mit einer jungen Frau in Cognac geplant – einer hinreichend abgelegenen Gegend –, das in der Geburt eines gesunden Jungen resultierte.«
»Aber er war es selbst.«
Joanna schien versucht zu lächeln.
»Ach, wirklich? Nein, mein lieber André, ich fürchte, da muss ich Euch enttäuschen. Jemand hat einmal gesagt, dass ein Leopard seine Flecken nicht ändern kann. Die Flecken meines Bruders sind genauso unveränderlich. Warum glaubt Ihr denn, dass dieses Abenteuer so weit weg arrangiert wurde? Hätte Richard schlicht nur den Wunsch gehabt, mit einer Frau ins Bett zu gehen, hätte er doch nur mit den Fingern zu schnippen brauchen, ganz gleich, wo er sich befand. Aber so war es nicht. Mit großer Sorgfalt wurde nach einer ledigen Frau aus guter Familie gesucht, und man fand eine junge, verarmte Witwe, mit der eine Reihe von Vereinbarungen getroffen wurde. Der Herzog sollte sich mit ihr in der Öffentlichkeit zeigen und ihr hinreichend den Hof machen, um die Lästermäuler in Bewegung zu setzen. Zwar würde es Gerede geben, doch die Dame würde für jede Peinlichkeit reich entlohnt werden und hinter verschlossenen Türen durch einen jungen Ritter beglückt werden, der besten Geblüts und prächtiger Erscheinung war. Sobald sie schwanger war, würde der junge Ritter – ebenfalls reichlich entlohnt – seiner Wege ziehen, und sie würde Herzog Richard als den Vater ihres Kindes benennen. Im Gegenzug würde Richard sie mit Ländereien und Geld belohnen, mit Freuden die Vaterschaft anerkennen und das Kind als seinen Erben anerkennen. Das Ergebnis war für alle Beteiligten zufriedenstellend. Die Dame ist nun reich und unabhängig, die zufriedene Mutter eines anerkannten Thronerben, und Richard besitzt ein lebendes Symbol seiner Männlichkeit, seiner Sexualität und seiner Liebe zu Frauen, das er den Menschen vorführen kann, wenn er es wünscht.«
»Aber was ist mit dem richtigen Vater? Hat Richard denn keine Angst, dass er eines Tages ans Licht treten und alles erzählen könnte?«
Diesmal lächelte Joanna.
»Würdet Ihr das tun, wenn Ihr dieser Mann wärt? Was würde er denn gewinnen, außer, dass er alles verliert, was er sein
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