Die Brueder des Kreuzes
Vorfeld gesagt, dass es möglich war, dass Rashid al-Din ihn ebenfalls zu sich rief, nachdem er erfahren hatte, wer er war – dass es vielleicht aber auch nicht geschehen würde. Rashid al-Din genoss den Ruf einen unvorhersehbaren Menschen.
Am Ende jedoch war es anders gekommen. André hatte in der Tür gestanden, einige Schritte außerhalb des Kreises der Leibwächter. Sobald die Sonne hinter den Gipfeln in ihrem Rücken versank, wurde es kühl, denn sie befanden sich hoch oben im Gebirge in der Bergfestung, die man Adlerhorst nannte. Gerade hatte er sich in seinen Umhang gewickelt, als er ein Geräusch hinter sich hörte, dem wiederum vollständige Stille folgte. Er hatte sich umgedreht und sich einem Mann gegenübergesehen, der ihn beobachtete – und der kein anderer als Rashid al-Din sein konnte.
Zunächst war er sich dessen nur sicher, weil er beobachtete, wie sich die Körperhaltung der Leibwächter veränderte. Dann wurde er des Mannes selbst gewahr und der Stille, die über ihm hing wie ein Schatten. Wie die meisten Assassinen war er vollständig schwarz gekleidet, doch dieser Mann schien Schwärze auszustrahlen, und bei seinem Anblick hatte André nur noch einen Gedanken im Kopf … eiskalt … Schwärze und Eiseskälte .
Ihm wurde klar, dass er keine Ahnung hatte, wie er reagieren oder sich verhalten sollte. Er spürte ein nervöses Prickeln im Nacken, und ein paar Sekunden lang überlegte er, sich vielleicht zu verbeugen. Doch er verwarf den Gedanken wieder und zwang sich, aufrecht und reglos stehen zu bleiben. Wenn man ihn nicht teilhaben ließ, sondern ihn nur inspizierte wie einen Gefangenen oder einen Sklaven, dann wollte er dem Mann auch nicht die Genugtuung lassen, ihn unterwürfig zu sehen. Also richtete er sich noch gerader auf und erwiderte den kalten Blick des Mannes mit versteinerter Miene.
Sein Gesicht war ausdruckslos und verschwand fast vollständig unter einem dichten, eisengrauen Bart, der von weißen Streifen durchzogen war. Unter den buschigen, drahtigen grauen Augenbrauen starrten ihn glasige, unergründliche Augen an, die ihn an die Augen einer Schlange erinnerten, ohne jede Menschlichkeit und Wärme. Er hielt ihren Blick entschlossen aus und blinzelte nicht einmal, während sein Kopf den Eindruck registrierte, den der Mann auf ihn gemacht hatte, ohne ein Wort zu sagen oder seine Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen.
Er sah vor allem Arroganz, die schon aus der Kopfhaltung des Mannes sprach. Intoleranz in der Art, wie er seine Lippen aufeinanderpresste. Stolz, auch wenn er nicht sagen konnte, woran er dies erkannte – und gigantische Eitelkeit, die der Mann mit Sicherheit niemals eingestanden hätte –, und höhnische Verachtung gegenüber allen Menschen außer ihm selbst.
Nein, André St. Clair mochte Rashid al-Din nicht, den Alten Mann vom Berge, und er hegte keinerlei Wunsch, mit ihm umgehen zu müssen, auch nicht auf Anordnung des Rates des Ordens von Sion. Während ihm das klar wurde, wandte sich der andere Mann langsam um und schritt wieder durch die Türen, die die Wachen ebenso ehrfürchtig wie sichtlich erleichtert hinter ihm schlossen.
ETWA EINE STUNDE SPÄTER kam Alec aus dem Haus, in dem die Zusammenkunft stattgefunden hatte. Er hatte die Stirn gerunzelt, als er zu André trat, der sich am Feuer wärmte, das die Wachen auf dem Hof angezündet hatten.
»Ich habe ihm gesagt, wer Ihr seid, und er ist hinausgegangen, um einen Blick auf Euch zu werfen. Habt Ihr ihn gesehen?«, lautete seine erste Frage, nachdem er André gefunden hatte.
»Wie hätte ich ihn nicht sehen sollen? Er hat keine fünf Schritte von mir entfernt gestanden und mich direkt angestarrt.«
»Und was habt Ihr gedacht?«
André sah sich um. Auf dem Hof befanden sich zirka zwanzig Männer, von denen sich etwa die Hälfte am Feuer aufhielt.
»Sprechen diese Männer Französisch?«
»Nicht, dass ich wüsste. Zumindest ist es sehr unwahrscheinlich.«
»So unwahrscheinlich wie die Tatsache, dass wir Arabisch sprechen?«
Alec antwortete mit einem kopfschüttelnden Grinsen.
»Das ist etwas anderes, Vetter, glaubt mir. Wir haben ihre Sprache gelernt, um uns im Interesse der Bruderschaft mit ihnen verständigen zu können. Einen solchen Anreiz haben sie nicht. Sie sind Fanatiker, die diese Berge nur selten verlassen. Sie verachten uns und unsere Kultur. Sie betrachten uns als gottlose Ungläubige, denen ewige Verdammnis droht, weil wir Allah und Seinen Propheten nicht akzeptieren. Warum sollten sie sich
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