Die Bücher und das Paradies
das Gelegenheit für
märchenhafte Erscheinungen wie der des auffliegenden
Schwans bot, und nach der Begegnung mit einer Sylvie,
die jetzt die Anmut der beiden zurückgewiesenen
Phantome in sich zu vereinigen scheint, verirrt Jerard sich
nachts im Wald (begleitet von einem Mond, der ebenfalls
theatralisch die Sandsteinfelsen beleuchtet): Teiche
schimmern fern in der diesigen Ebene, die Luft ist lau und
balsamisch, hin und wieder zeichnen sich pittoreske
Ruinen am Horizont ab. Friedlich und sanft ist die Nacht,
heiter am Morgen das Dorf, jungfräulich die Kammer
Sylvies, die mit Spitzenklöppeln hantiert, und eine einzige
Blumenpracht ist der Weg zum Haus der Tante, zwischen
Margeriten und Butterblumen, Amseln und Meisen,
Immergrün und purpurnem Fingerhut, Büschen und
Bächen, über welche die beiden Wanderer fröhlich
springen. Die Thève wird immer schmaler, je näher man
der Quelle kommt, um schließlich auf den Wiesen zu
»ruhen« als ein kleiner See zwischen Gladiolen und
Schwertlilien. Wenig mehr bleibt zu sagen über dieses
Idyll des ländlichen Othys, in dem die Vergangenheit noch
den Geruch der guten alten Zeit hat.
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Als Jerard dann zum zweiten Mal nach Loisy fährt
(Kapitel 8 – 11), trifft er dort morgens früh ein, als das
Fest gerade zu Ende geht, die Blumen in Sylvies Haar und
an ihrem Mieder hängen welk herab, an den Biegungen
der Thève hat sich das Wasser zu kleinen Tümpeln
gestaut, auf den Feldern stehen Stroh- und Heudiemen,
aber ihr Geruch ist nicht mehr betäubend wie einst. Waren
die beiden Wanderer beim ersten Mal über Büsche und
Bäche gesprungen, so kommt es ihnen jetzt nicht mehr in
den Sinn, querfeldein zu gehen.
Jerard begibt sich, ohne den Weg zu beschreiben, zum
Haus seines Onkels und findet es verlassen, den Hund tot
und den Garten verwildert. Er macht einen Spaziergang
nach Ermenonville, aber seltsamerweise schweigen die
Vögel, und die Schrift auf den Wegweisern ist verblaßt.
Was ihm auffällt, sind die künstlichen Rekonstruktionen
des Tempels der Philosophie, die inzwischen selber
Ruinen sind; die Lorbeerbäume sind verschwunden, und
auf einem (künstlichen) See voll welker Blüten unterhalb
des Turms der Gabrielle »gärt der Schaum, summt das
Insekt«. Die Luft ist mefitisch, der Sand staubförmig, alles
ist trübsinnig und einsam. Als Jerard in Sylvies Kammer
zurückkehrt, haben Kanarienvögel die früheren Gras-
mücken ersetzt, die Möbel sind modern und gekünstelt,
Sylvie klöppelt keine Spitzen mehr, sondern fabriziert jetzt
Lederhandschuhe mit Hilfe einer »Mechanik«, und die
Tante ist gestorben. Der Ausflug nach Châalis wird kein
munterer Querfeldeingang sein, sondern ein langsamer
Ritt auf einem Esel, bei dem keine Blumen gepflückt
werden, sondern eher ein Bildungswettstreit in einem
Klima wechselseitigen Mißtrauens ausgetragen wird. In
der Nähe von Saint-S*** muß man auf seine Schritte
achten, denn tückische Bäche fließen dort durch die
Wiesen.
57
Wenn Jerard schließlich im letzten Kapitel noch einmal
an jene selben Orte zurückkehrt, findet er auch die lichten
Wälder von einst nicht mehr wieder, Châalis wird
restauriert, die für teures Geld ausgehobenen Teiche
breiten vergeblich ihr totes Wasser aus, »das der Schwan
nun verschmäht«, es gibt keine direkte Straße nach
Ermenonville mehr, der Raum ist zu einem noch
sinnloseren Labyrinth geworden.
Die Suche nach umgekehrten Symmetrien könnte noch
weitergetrieben werden, und viele haben es getan, bis sich
fast spiegelbildliche Verhältnisse zwischen den Kapiteln
ergeben haben (zum Teil direkt zwischen dem ersten und
dem letzten, dem zweiten und dem vorletzten und so
weiter, auch wenn die Entsprechungen nicht einer
mathematischen Gesetzmäßigkeit folgen). Sehen wir uns
nur die auffälligsten Beispiele an:
Euphorisch
Dysphorisch
1. Bogenschießen als
14. Bogenschießen als
mythisch ferne Erinnerung
Kinderspiel
2. anmutiger Gruß
13. anmutiger Gruß Aurélies,
Adriennes,
der Dame von Welt
der künftigen Nonne
3. kaputte Uhr:
12. kaputte Uhr: Erinnerung
Versprechen einer
an eine verlorene Zeit
wiederzufindenden Zeit
58
4. Tanzfest
8. Tanzfest
(erster Tanz, Kap. 2):
(zweiter Tanz, Kap. 4):
–
die
Mädchen
–
die
Mädchen
repräsen-
sind Töchter
tieren 1000 Jahre franz.
verarmter
Adelsfamilien
Geschichte
–
jeder
Junge
–
Jerard
ist
der
kommt mit
einzige
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