Die Bücher und das Paradies
wird); zweitens,
weil Adrienne in jener Nacht bereits »verklärt« ist durch
ihre Berufung zum Leben als Nonne, während man im
zweiten Kapitel erfahren hatte, daß sie erst nach dem Tanz
auf der Wiese für den geistlichen Stand bestimmt worden
war; drittens wird die Begegnung mit Adrienne – also der
Tanz auf der Wiese – am Anfang des vierten Kapitels als
ferne Kindheitserinnerung erwähnt, und wie sollten dann
wohl Jerard und Sylvies Bruder in noch früherer Kindheit
nachts auf einem kleinen Wagen durch den Wald gefahren
sein, um sich eine sakrale Aufführung anzusehen?
Hat also die Châalis-Episode zwischen dem ersten Tanz
auf der Wiese und dem zweiten in Loisy stattgefunden?
Dann müßte Jerard in der Zeit zwischen diesen beiden
Ereignissen nochmals nach Loisy gefahren sein. Und
warum heißt es dann im vierten Kapitel, daß Sylvie, als er
nach Loisy kommt, ihm »noch schmollte«, als ob sie noch
immer darunter litte, wie er sie damals auf der Wiese vor
Adrienne gedemütigt hatte? Allerdings könnte dies auch
ein weiterer Nebeleffekt sein. Der Text sagt keineswegs,
daß Sylvie ihm wegen der alten Geschichte schmollt –
allenfalls denkt das Jerard. Sowohl sie wie ihr Bruder
werfen ihm vor, daß er sich »seit so langer Zeit« nicht hat
sehen lassen. Wer sagt, daß damit die Zeit seit dem ersten
Tanz gemeint war? Jerard hätte sehr gut in der
Zwischenzeit einmal wiedergekommen sein und einen
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Abend mit Sylvies Bruder verbracht haben können. Und
doch ist diese Lösung nicht recht überzeugend, denn an
jenem Abend macht Jerard ganz den Eindruck, als ob er
Sylvie zum ersten Mal seit dem Tanz auf der Wiese
wiedersieht, erscheint sie ihm doch verwandelt und noch
bezaubernder als damals.
Also könnte Jerard nach dem zweiten Tanz (in t1) nach
Châalis gekommen sein. Aber wie soll das möglich sein,
wenn dieser Tanz in Loisy, wie die meisten Kommen-
tatoren annehmen, drei Jahre vor dem Abend nach dem
Theater stattgefunden hatte und Jerard bei der Ankunft,
wie gesagt, mit dem Vorwurf empfangen wurde, er habe
sich so lange nicht sehen lassen? Auch hier sind wir
vielleicht wieder einem Nebeleffekt aufgesessen. Der Text
sagt keineswegs, daß der zweite Tanz (t1) drei Jahre vor
dem Theaterabend war. Der Text sagt, daß Jerard sich
beim Gedanken an Sylvie fragt (Kapitel 3, dritter Absatz):
»Warum habe ich sie seit drei Jahren vergessen?« Er sagt
nicht, daß drei Jahre seit dem Tanz in Loisy vergangen
sind, sondern (siebter Absatz), daß Jerard seit drei Jahren
dabei ist, die Erbschaft seines Onkels zu verschwenden,
und man kann annehmen, daß er in diesen drei Jahren
voller mondäner Vergnügungen Sylvie vergessen hat.
Zwischen dem zweiten Tanz und dem Abend nach dem
Theater könnten sehr viel mehr Jahre vergangen sein.
Doch welche Hypothese man auch wählt, wie verhält
sich die Episode von Châalis zu jenem Jahr 1832, in dem
Adrienne stirbt? Es wäre sicher bewegend zu denken, daß
Adrienne stirbt (oder im Sterben liegt oder schon
gestorben ist), als Jerard sie in Châalis sieht (oder zu sehen meint).
Diese scheinbar so trockenen Berechnungen sind es, die
uns erklären können, warum wir Leser (samt Proust) uns
gezwungen fühlen, immer wieder zurückzublättern, um zu
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begreifen, wo wir uns gerade befinden . Sicher könnte in diesem Fall die Verwirrung auch diejenige von Labrunie
sein. Aber wenn uns die aufdringlichen Biographen nicht
so penetrant immer neue Krankenblätter des Ärmsten
präsentierten, würden wir beim Lesen des Textes einfach
sagen, daß wir deshalb nicht wissen, wo wir uns befinden,
weil Nerval nicht wollte, daß wir es wissen. Nerval ist das
Gegenteil eines Krimiautors, der seinen Text so kalkuliert
mit Indizien übersät, daß wir uns beim Wiederlesen
fragen, warum wir die Wahrheit nicht gleich erkannt
haben. Nerval führt uns in die Irre und will, daß wir die
Ab- und Reihenfolge oder, wie er es ausdrückt, die
Ordnung der Zeiten verlieren.
Eben deswegen sagt uns Jerard im ersten Kapitel, er
habe sich nicht um »die Ordnung der Zeiten« ( l’ordre des
temps ) kümmern können, und am Anfang des letzten, er
habe versucht, die Chimären »ohne rechte Ordnung« ( sans
beaucoup d’ordre ) festzuhalten. Im Universum von Sylvie , in dem die Zeit, wie zu Recht gesagt worden ist, ruckweise
vorangeht, funktionieren die Uhren nicht.
Ich habe andernorts dargelegt, und zwar genau am
Beispiel der im dritten Kapitel
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