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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Othys die noch keuschere Fiktion einer
    Hochzeit. In dem Moment, als Sylvie endlich voll und
    ganz das Realitätsprinzip verkörpert (und die einzige
    unbezweifelbar wahre und historische Faktizität – ein
    Datum – der ganzen Erzählung ausspricht), ist sie definitiv
    verloren. Jedenfalls als Geliebte, denn für Jerard ist sie
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    jetzt nur noch Schwester und überdies verheiratet mit
    seinem (Milch-)Bruder.
    Somit wäre man versucht zu sagen, daß die Erzählung
    gerade aus diesem Grund Sylvie betitelt worden ist und nicht – wie ein früheres flammendes Werk – Aurélie .
    Sylvie ist die wahre verlorene und nie mehr
    wiedergefundene Zeit, gerade weil sie am Ende als einzige
    übrigbleibt.
    Das würde allerdings eine sehr starke These implizieren,
    die ihre volle Bedeutung gerade durch eine Gegen-
    überstellung von Proust und Nerval gewönne: Nerval
    machte sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit, war
    jedoch unfähig, sie wiederzufinden, und begnügte sich mit
    einer Feier der Vanitas seiner Chimäre. Das von Sylvie
    ausgesprochene Datum am Ende klänge dann wie der
    Schlag einer Totenglocke, der die Geschichte abschließt.
    Damit würde sich das liebevolle Interesse erklären, das
    Proust Nerval entgegenbringt, fast wie ein Sohn dem
    Vater, der bei einem verzweifelten Unternehmen ge-
    scheitert ist (und vielleicht hat Labrunie sich deswegen
    umgebracht). Proust hätte sich also vorgenommen, die
    Niederlage des Vaters durch seinen eigenen Sieg über die
    Zeit zu rächen.
    Aber wann im Laufe der Handlung enthüllt Sylvie
    Jerard, daß Adrienne schon lange gestorben ist? In der Zeit
    t13 (»im folgenden Sommer«), als die Schauspieltruppe
    Vorstellungen in Dammartin gibt. Wie immer man
    rechnet, auf jeden Fall ist das lange vor jener Zeit tN, in
    der Jerard zu erzählen beginnt. Mithin hat Jerard, als er
    anfängt, sich den Abend nach dem Theaterbesuch ins
    Gedächtnis zu rufen, um dann in Gedanken zurück-
    zuschweifen zu den Zeiten des Tanzes auf der Wiese und
    von der Erregung zu sprechen, die ihn bei dem Gedanken
    erfaßte, Adrienne und die Schauspielerin könnten iden-
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    tisch sein, und von der Illusion, sie noch einmal in der
    Nähe des Klosters von Saint-S*** sehen zu können –,
    mithin hat Jerard in dieser ganzen Zeit der Handlung (und
    der Erzählung) schon gewußt , daß Adrienne unbezweifel-
    bar 1832 gestorben war.
    Es ist also nicht so, daß Jerard (oder mit ihm Nerval) zu
    erzählen aufhört, als er begreift, daß alles zu Ende ist. Im
    Gegenteil, gerade nachdem er begriffen hat, daß alles zu
    Ende ist, beginnt er zu erzählen (und zwar von einem Ich,
    das nicht wußte und nicht wissen konnte, daß alles längst
    zu Ende war).
    Ist einer, der so etwas tut, ein geistig Verwirrter, der mit
    seiner eigenen Vergangenheit nicht mehr zurechtkommt?
    Im Gegenteil, er ist einer, der ausspricht, daß man sich an
    eine Wiederbesichtigung der Vergangenheit erst dann
    machen kann, wenn die Gegenwart auf Null gestellt ist,
    und daß nur die Erinnerung (auch wenn sie nicht sehr
    geordnet ist, und vielleicht gerade deswegen) uns etwas
    wiedergibt, wofür es sich, wenn schon nicht zu leben, so
    wenigstens zu sterben lohnt.
    In diesem Fall hätte Proust allerdings Nerval nicht als
    einen schwachen und hilflosen Vater gesehen, dessen
    Versagen es wettzumachen galt, sondern als einen zu
    starken Vater, den es zu überwinden galt. Und dieser
    Herausforderung hätte er sein Leben gewidmet.
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    Oscar Wilde:
    Paradox und Aphorismus1
    Nichts ist weniger definierbar als der Aphorismus. Das
    griechische Wort, eigentlich »das für eine Spende
    Abgezweigte« und daher »Spende«, bekommt im Laufe
    der Zeit die Bedeutung »Abgrenzung, Definition, knappe
    Sentenz«. So beispielsweise die Aphorismen des Hippo-
    krates. Darum ist der Aphorismus heute für unsere
    gängigen Wörterbücher, wie den Zingarelli, eine »kurze
    Maxime, die eine Lebensregel oder eine philosophische
    Sentenz ausdrückt«.
    Was unterscheidet einen Aphorismus von einer
    Maxime? Nichts außer seiner Kürze.
    Wenig genügt, uns zu trösten, weil wenig genügt, uns zu
    betrüben (Pascal, Pensées , ed. Brunschvicg, 136).
    Hätten wir keine Fehler, wäre es uns nicht ein solches
    Vergnügen, die der anderen zu bemerken (La Rochefoucauld,
    Maximes , 31).
    Die Erinnerung ist das Tagebuch, das wir alle mit uns
    herumtragen (Wilde, The Importance of Being Earnest ) .
    Ich habe manchen Gedanken, den ich nicht habe und nicht in
    Worte fassen könnte,

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