Die Bücher und das Paradies
Technik ist ein »Anti-Averroes-Modell«, aber ohne
das Vorbild von Borges hätte ich sie nicht entwickeln
können.
Dies sind die wahren Einflüsse, mehr als andere, die nur
als solche erscheinen. Nehmen wir noch einmal das
Thema der labyrinthischen Unordnung der Welt, das
direkt von Borges zu kommen scheint. Aber ich habe es
nicht bei ihm, sondern bei Joyce gefunden, außerdem auch
und gerade in einigen mittelalterlichen Texten. Comenius
schrieb sein Buch Das Labyrinth der Welt 1623, der
Begriff des Labyrinths gehörte zur Ideologie des
Manierismus und des Barock. Nicht zufällig hat dann in
unserer Zeit, ausgehend von Comenius’ Idee, René Hocke
seinem schönen Buch über den literarischen Manierismus
den Titel Die Welt als Labyrinth gegeben. Aber damit
nicht genug. Daß jede Klassifizierung des Universums zur
Anlage eines Labyrinths – oder eines Gartens der Pfade,
die sich verzweigen – führt, war eine Idee, die sich sowohl
bei Leibniz findet als auch, sehr klar und explizit, in der
Vorrede zur Encyclopédie von Diderot und d’Alembert.
Dies dürften vermutlich auch die Quellen von Borges
gewesen sein. Somit haben wir hier einen Fall, in dem
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nicht klar ist, auch mir selbst nicht, ob ich (B) durch die
Lektüre von A auf X gestoßen bin oder ob ich zuerst
einige Aspekte von X entdeckt und dann bemerkt habe,
daß X auch A beeinflußt hat. Dennoch haben vermutlich
die Labyrinthe von Borges für mich die vielen anderswo
gefundenen Bezugnahmen auf Labyrinthe gebündelt und
amalgamiert, so daß ich mich frage, ob ich den Namen der
Rose ohne Borges hätte schreiben können. Freilich ist dies ein kontrafaktischer Konditionalsatz vom Typus »Hätte
Napoleon in Waterloo gesiegt, wenn er eine somalische
Frau gewesen wäre?«. Theoretisch betrachtet, nimmt man
die Maschine von Pater Emanuele (ist doch in diesen
Tagen auch mein Jesuit aus der Insel des vorigen Tages
zitiert worden) und läßt sie mit voller Kraft rotieren, ist
alles schon dagewesen: Bibliotheken gab es seit der
Antike, der Streit über das Lachen war in die
mittelalterliche Welt eingebrochen, der Zerfall der
Ordnung hatte, wenn man so will, bei Occam begonnen,
Spiegel waren im Roman de la Rose gefeiert und schon
von den Arabern zu einem Forschungsgegenstand gemacht
worden, außerdem war ich bereits als Schüler von einem
Rilke-Gedicht über Spiegel fasziniert gewesen. Hätte ich
all diese Elemente ohne Borges katalysiert? Wahr-
scheinlich nicht. Aber hätte Borges geschrieben, was er
geschrieben hat, wenn hinter ihm nicht all jene Texte
gestanden hätten, von denen ich gesprochen habe? Wie
kommt es, daß er die Idee des Labyrinths und die der
Spiegelmysterien katalysiert hat? Auch seine Arbeit
bestand darin, sich aus dem unermeßlichen Gebiet der
Intertextualität eine Reihe von Themen herauszugreifen,
die bereits darin umherwirbelten, und sie in ein
exemplarisches Gleichnis zu verwandeln.
Ich möchte nun alle diejenigen Fälle beleuchten, in
denen die Suche nach einem direkten Einfluß gefährlich
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ist, weil man dabei gerade die intertextuellen Bezüge aus
dem Auge verlieren kann. Borges ist ein Autor, der
praktisch über alles geschrieben hat. Man wird kaum ein
Thema der Kulturgeschichte finden, mit dem er sich nicht
wenigstens einmal kurz beschäftigt hat. Gerade gestern hat
jemand hier den Verdacht geäußert, Borges könnte Platon
beim Schreiben des Parmenides beeinflußt haben, da er dieselben Personen wie Platon ins Spiel gebracht hatte.
Gestern war auch von der »Bacon-Shakespeare-Kontro-
verse« die Rede, und mit Sicherheit hat sich Borges auch
dazu geäußert, aber es gibt zu diesem Thema eine
immense Literatur, die im 17. Jahrhundert beginnt, sich
mit monumentalen (und verrückten) Werken im
18.
Jahrhundert fortsetzt und bis heute andauert mit
pseudo-geheimen Gesellschaften, die unermüdlich
Shakespeares Werke nach Spuren von Francis Bacon
durchsuchen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Idee –
daß die Werke des großen Barden von einem anderen
geschrieben worden seien, der im Text verstreut zwischen
den Zeilen seine Spuren hinterlassen habe
– Borges
faszinieren mußte. Aber es ist nicht gesagt, daß ein Autor,
der heute die Shakespeare-Kontroverse erwähnt, dabei
Borges zitiert.
Nehmen wir die Frage der Rose. Wie ich schon
mehrmals erzählt habe, war der Titel Der Name der Rose
von ein paar Freunden aus einer Liste von zehn möglichen
Titeln
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