Die Bücher und das Paradies
ausgewählt worden, die ich im letzten Moment aufs
Papier geworfen hatte. Tatsächlich war mein erster Titel
Verbrechen in der Abtei (ein offenkundiges Zitat des in englischen Kriminalromanen beliebten »Murder in the
Vicarage«), und der Untertitel war Storia italiana del XIV
secolo (»Italienische Geschichte aus dem 14.
Jahr-
hundert« – ein Manzoni-Zitat). Dann kam mir dieser Titel
ein bißchen schwerfällig vor, und ich stellte eine Liste
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möglicher Alternativen auf, von denen mir Blitiri am besten gefiel (»Blitiri« ist wie »Babazuf« ein spät-scholastischer Terminus für ein Wort ohne jeden Sinn),
und da in der letzten Zeile des Romans ein Vers von
Bernardus Morliacensis zitiert wird, den ich wegen seines
nominalistischen Anklangs gewählt hatte ( Stat rosa
pristina nomine etc.), hatte ich auch Der Name der Rose auf die Liste gesetzt. Wie andernorts ausgeführt, schien
mir das deshalb ein guter Titel zu sein, weil es so
unbestimmt war, weil die Rose in der Geschichte der
Mystik und der Literatur so viele verschiedene, oft
widersprüchliche Bedeutungen angenommen hat, daß sie
schon beinahe gar nichts m ehr bedeutet, und so hoffte ich, daß dieser Titel sich eindeutigen Dechiffrierungen wider-setzen würde.
Vergebens: Alle haben nach einer präzisen Bedeutung
gesucht, und viele haben darin eine Bezugnahme auf
Shakespeares a rose by any other name gesehen, was
genau das Gegenteil dessen bedeutet, was Bernardus sagen
wollte. Auf jeden Fall kann ich schwören, daß ich
überhaupt nicht an das Vorkommen der Rose bei Borges
gedacht hatte. Dennoch finde ich es sehr schön, daß Maria
Kodama hier vorgestern einen Bezug zu Angelus Silesius
hergestellt hat, vermutlich ohne zu wissen, daß über die
Beziehungen meines Titels zu Angelus Silesius vor Jahren
Carlo Ossola einen höchst gelehrten Aufsatz geschrieben
hat.9 Ossola hatte bemerkt, daß auf den letzten Seiten
meines Romans eine Collage von Zitaten spätmittel-
alterlicher Mystiker steht, unter die ich aber in maliziösem
9 Carlo Ossola, »La rosa profunda. Metamorfosi e variazioni sul Nome della rosa« , in Lettere Italiane , 4, 1984; jetzt unter dem Titel »Purpur Wort« in dem Band Figurato e rimosso. Icone di interni del testo , Bologna, Il Mulino, 1988.
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Anachronismus auch ein Zitat von Angelus Silesius
gemischt hatte. Dieses Zitat hatte ich irgendwo gefunden
und mir notiert, ohne jedoch (damals) zu wissen, daß
Silesius sich auch mit der Rose befaßt hatte. Mithin ist
dies ein schöner Fall von komplizierter Dreiecks-Beein-
flussung, aber ein direkter Einfluß lag nicht vor.
Ein weiteres Borges-Thema, das hier zitiert worden ist,
ist das des Golems. Ich habe es im Foucaultschen Pendel
benutzt, weil es zum okkultistischen Klimbim gehört, aber
meine direkte Quelle war natürlich Meyrink, um nicht von
dem Film zu reden, und gleich danach kamen die
kabbalistischen Texte, die ich bei Gershom Scholem
gefunden hatte.
In diesen Tagen ist dargelegt worden, daß viele Ideen, an
denen Borges gearbeitet hat, ursprünglich von Peirce und
Royce entwickelt worden sind. Ich glaube, wenn man die
Namenregister sämtlicher Werke von Borges durchgeht,
wird man weder Peirce noch Royce darin finden. Dennoch
ist es sehr gut möglich, daß Borges die betreffenden
Einflüsse durch andere Autoren vermittelt bekommen hat.
Ich habe einige Erfahrungen, die ich vermutlich mit all
denen teile, die sehr viele Bücher besitzen (bei mir sind es
inzwischen rund vierzigtausend, verteilt auf Mailand und
meine anderen Wohnungen), und ich betrachte eine
Bibliothek nicht nur als einen Ort zum Aufbewahren
schon gelesener Bücher, sondern vor allem als ein
Magazin für Bücher, die man eines Tages lesen will, wenn
einem danach ist. Nun kann es jedoch passieren, daß man
jedesmal, wenn einem ein noch nicht gelesenes Buch unter
die Augen kommt, einen Gewissensbiß verspürt.
Eines Tages entschließt man sich endlich, vielleicht um
etwas über ein bestimmtes Thema zu erfahren, eines der
vielen nie gelesenen Bücher aufzuschlagen, man beginnt
darin zu lesen, und plötzlich stellt man fest, daß man es
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schon kennt. Was ist da geschehen? Es gibt die mystisch-
biologische Erklärung, nach der mit der Zeit, wenn man
die Bücher oft genug herausgenommen, abgestaubt und
wieder zurückgestellt hat, etwas von ihrem Wesen durch
die Fingerspitzen eingesickert und bis in unseren Kopf
vorgedrungen ist. Es gibt die Erklärung
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