Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
ausgewählt worden, die ich im letzten Moment aufs
    Papier geworfen hatte. Tatsächlich war mein erster Titel
    Verbrechen in der Abtei (ein offenkundiges Zitat des in englischen Kriminalromanen beliebten »Murder in the
    Vicarage«), und der Untertitel war Storia italiana del XIV
    secolo (»Italienische Geschichte aus dem 14.
    Jahr-
    hundert« – ein Manzoni-Zitat). Dann kam mir dieser Titel
    ein bißchen schwerfällig vor, und ich stellte eine Liste
    166
    möglicher Alternativen auf, von denen mir Blitiri am besten gefiel (»Blitiri« ist wie »Babazuf« ein spät-scholastischer Terminus für ein Wort ohne jeden Sinn),
    und da in der letzten Zeile des Romans ein Vers von
    Bernardus Morliacensis zitiert wird, den ich wegen seines
    nominalistischen Anklangs gewählt hatte ( Stat rosa
    pristina nomine etc.), hatte ich auch Der Name der Rose auf die Liste gesetzt. Wie andernorts ausgeführt, schien
    mir das deshalb ein guter Titel zu sein, weil es so
    unbestimmt war, weil die Rose in der Geschichte der
    Mystik und der Literatur so viele verschiedene, oft
    widersprüchliche Bedeutungen angenommen hat, daß sie
    schon beinahe gar nichts m ehr bedeutet, und so hoffte ich, daß dieser Titel sich eindeutigen Dechiffrierungen wider-setzen würde.
    Vergebens: Alle haben nach einer präzisen Bedeutung
    gesucht, und viele haben darin eine Bezugnahme auf
    Shakespeares a rose by any other name gesehen, was
    genau das Gegenteil dessen bedeutet, was Bernardus sagen
    wollte. Auf jeden Fall kann ich schwören, daß ich
    überhaupt nicht an das Vorkommen der Rose bei Borges
    gedacht hatte. Dennoch finde ich es sehr schön, daß Maria
    Kodama hier vorgestern einen Bezug zu Angelus Silesius
    hergestellt hat, vermutlich ohne zu wissen, daß über die
    Beziehungen meines Titels zu Angelus Silesius vor Jahren
    Carlo Ossola einen höchst gelehrten Aufsatz geschrieben
    hat.9 Ossola hatte bemerkt, daß auf den letzten Seiten
    meines Romans eine Collage von Zitaten spätmittel-
    alterlicher Mystiker steht, unter die ich aber in maliziösem

    9 Carlo Ossola, »La rosa profunda. Metamorfosi e variazioni sul Nome della rosa« , in Lettere Italiane , 4, 1984; jetzt unter dem Titel »Purpur Wort« in dem Band Figurato e rimosso. Icone di interni del testo , Bologna, Il Mulino, 1988.
    167
    Anachronismus auch ein Zitat von Angelus Silesius
    gemischt hatte. Dieses Zitat hatte ich irgendwo gefunden
    und mir notiert, ohne jedoch (damals) zu wissen, daß
    Silesius sich auch mit der Rose befaßt hatte. Mithin ist
    dies ein schöner Fall von komplizierter Dreiecks-Beein-
    flussung, aber ein direkter Einfluß lag nicht vor.
    Ein weiteres Borges-Thema, das hier zitiert worden ist,
    ist das des Golems. Ich habe es im Foucaultschen Pendel
    benutzt, weil es zum okkultistischen Klimbim gehört, aber
    meine direkte Quelle war natürlich Meyrink, um nicht von
    dem Film zu reden, und gleich danach kamen die
    kabbalistischen Texte, die ich bei Gershom Scholem
    gefunden hatte.
    In diesen Tagen ist dargelegt worden, daß viele Ideen, an
    denen Borges gearbeitet hat, ursprünglich von Peirce und
    Royce entwickelt worden sind. Ich glaube, wenn man die
    Namenregister sämtlicher Werke von Borges durchgeht,
    wird man weder Peirce noch Royce darin finden. Dennoch
    ist es sehr gut möglich, daß Borges die betreffenden
    Einflüsse durch andere Autoren vermittelt bekommen hat.
    Ich habe einige Erfahrungen, die ich vermutlich mit all
    denen teile, die sehr viele Bücher besitzen (bei mir sind es
    inzwischen rund vierzigtausend, verteilt auf Mailand und
    meine anderen Wohnungen), und ich betrachte eine
    Bibliothek nicht nur als einen Ort zum Aufbewahren
    schon gelesener Bücher, sondern vor allem als ein
    Magazin für Bücher, die man eines Tages lesen will, wenn
    einem danach ist. Nun kann es jedoch passieren, daß man
    jedesmal, wenn einem ein noch nicht gelesenes Buch unter
    die Augen kommt, einen Gewissensbiß verspürt.
    Eines Tages entschließt man sich endlich, vielleicht um
    etwas über ein bestimmtes Thema zu erfahren, eines der
    vielen nie gelesenen Bücher aufzuschlagen, man beginnt
    darin zu lesen, und plötzlich stellt man fest, daß man es
    168
    schon kennt. Was ist da geschehen? Es gibt die mystisch-
    biologische Erklärung, nach der mit der Zeit, wenn man
    die Bücher oft genug herausgenommen, abgestaubt und
    wieder zurückgestellt hat, etwas von ihrem Wesen durch
    die Fingerspitzen eingesickert und bis in unseren Kopf
    vorgedrungen ist. Es gibt die Erklärung

Weitere Kostenlose Bücher