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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wiederholte Unterbrechung der Raumbeschrei-
    bung durch andere Reflexionen, die Zeit (zum Lesen) und
    Raum (für die Schrift) erfordern, um so das Gefühl der
    Fahrt zu verdeutlichen und die langsame Veränderung des
    Blickwinkels zu rechtfertigen.
    Man könnte noch lange fortfahren, aber ich denke, es
    lohnt sich der Versuch, anstelle einer Konklusion zu resü-
    mieren, was diese verschiedenen Techniken und folglich
    diese verschiedenen Erscheinungsformen der Hypotypose
    miteinander verbindet. Es wurde schon mehrmals
    angedeutet und braucht nur noch zusammengefaßt zu
    werden. Die Hypotypose beruht nicht auf einer seman-
    tischen Regel, wie es bei den Tropen und Redefiguren der
    Fall ist, bei denen man, wenn man die Regel nicht kennt,

    15 Im Wald der Fiktionen , Hanser 1994, S. 95 – 99.
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    nicht versteht, was gesagt wird. Wenn per Metonymie der
    Behälter anstelle des Inhalts genannt wird (»trinken wir
    ein Gläschen«), glaubt der Adressat, der die Regel nicht
    kennt, er werde aufgefordert, einen festen Gegenstand zu
    schlürfen. Wenn per Analogie oder Metapher gesagt wird,
    ein junges Mädchen sei eine Hindin, wird der
    Ahnungslose, der die Regel nicht kennt, verwundert
    bemerken, daß die Betreffende weder Hufe noch Hörner
    hat. Aber gewöhnlich kommt es nicht zu solchen
    Mißverständnissen, außer in komischen oder surrealen
    Erzählungen.
    Dagegen kann der Adressat in allen hier aufgeführten
    Fällen von Hypotypose sehr gut vermeiden, an der
    Visualisierung mitzuarbeiten. Er kann sich darauf be-
    schränken zur Kenntnis zu nehmen, daß ihm gesagt wird,
    eine Stadt werde geplündert, eine Schublade sei voller
    Krimskrams, ein gewisser Bruder Jean sei ein Prahlhans.
    Wir haben sogar unterstellt, daß er sich bei Robbe-Grillet
    weigern kann, etwas Genaues zu sehen, ja, sich vielleicht
    sogar weigern soll , weil der Autor wahrscheinlich genau diese Weigerung, einen Exzeß an Visualisierung mit-zumachen, hervortreiben wollte.
    Mithin wäre die Hypotypose (unter anderem, als
    Denkfigur, die ähnlich der Ironie und anderen verwandten
    Figuren komplexe Textstrategien erfordert und sich
    niemals durch ein rasches Zitat oder eine Formel exempli-
    fizieren läßt) ein semantischpragmatisches Phänomen und
    somit ein Musterbeispiel für interpretierende Mitarbeit.
    Nicht so sehr Darstellung als vielmehr Technik zur
    Stimulierung des Lesers, sich eine visuelle Darstellung zu
    konstruieren, sich ein Bild zu machen.
    Und in der Tat, warum sollten wir annehmen, daß
    Wörter sichtbar machen , wo sie doch gerade erfunden
    worden sind, um von dem zu sprechen, was wir nicht vor 252
    Augen haben und folglich nicht mit dem Finger zeigen
    können? Das Höchste, was Wörter tun können (da sie
    emotionale Wirkungen erzeugen), ist, unsere Vorstel-
    lungskraft anzuregen.
    Die Hypotypose benutzt Wörter, um den Adressaten zu
    ermuntern, sich eine visuelle Darstellung zu konstruieren.
    Beweis dafür sind die Dramen jener Bemühung, die das
    Gegenteil der Ekphrase (der Beschreibung eines Bildes in
    Worten) ist, nämlich der bildlichen »Übersetzung« oder
    Materialisierung dessen, was ein verbaler Text an Vor-
    stellungen anregt. Kommen wir noch einmal auf die
    Offenbarung Johannis zurück. Das Drama aller
    mozarabischen Miniaturenmaler (der Illustratoren jener
    prächtigen frühmittelalterlichen Kommentare zur Apoka-
    lypse, die unter dem Namen Beatus bekannt sind) war die Darstellung jener vier Lebewesen, die sich »in der Mitte
    am Thron und um den Thron« befinden (nach der Vulgata,
    der einzigen Version, welche die Miniaturenmaler
    kannten, super thronum et circa thronum ). Wie können
    diese vier Kreaturen gleichzeitig über und um etwas sein?
    Sieht man die Lösungen der verschiedenen Beati durch,
    so erkennt man, daß die Aufgabe unmöglich war und
    Darstellungen erbracht hat, die den Text nicht in
    befriedigender Weise »übersetzen«. Und dies, weil die
    Miniaturenmaler in der griechischchristlichen Tradition
    aufgewachsen waren und daher dachten, der Autor dieses
    Textes habe etwas wie eine Statue oder ein Bild
    »gesehen«. Aber der kulturelle Hintergrund des Johannes,
    wie auch der des Propheten Ezechiel, von dessen Vision er
    sich inspirieren ließ, war jüdisch, und was er sah, war
    überdies die Vision eines Sehers. Infolgedessen erzählte
    Johannes keine Bilder (oder Statuen), sondern allenfalls
    Träume oder, wenn wir so wollen, Filme (die ja Träume
    mit offenen Augen sind oder auf den weltlichen

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