Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Ebenen
    gleichzeitig spricht: zu den anderen Architekten und zu
    einer interessierten Minderheit, die sich mit spezifisch
    architektonischen Signifikanten auskennt, aber auch zu
    einem größeren Publikum oder zu den Bewohnern des
    Ortes, die sich für andere Dinge interessieren, wie den
    Komfort der Gebäude, die Traditionen und die Lebens-
    weisen.3
    Das postmoderne Gebäude oder Kunstwerk wendet sich
    gleichzeitig an ein Elitepublikum, indem es »hohe« Kodes
    benutzt, und an ein Massenpublikum, indem es populäre
    Kodes benutzt.4
    Diese Idee kann auf vielerlei Weise verstanden werden.
    In der Architektur sind uns allen Beispiele der
    sogenannten Postmoderne gegenwärtig, die in Zitaten der
    Renaissance oder des Barock oder anderer Epochen
    schwelgen und damit »hohe« Kulturmodelle zu einem

    3 Charles Jencks, The Language of Post-Modern Architecture , London, Academy, 1977, S. 6 – 8.
    4 Charles Jencks, What is Post-Modernism? , London, Art and Design, 1986, S. 14 f.; vgl. auch Charles Jencks (Hg.), The PostModern Reader , London, Academy Editions, und New York, St Martin’s Press, 1992.
    257
    Ensemble verschmelzen, das jedoch auch für den
    einfachen Nutzer angenehm und phantasievoll ist – oft zu
    Lasten der Funktionalität und mit neuer Lust an Ornament
    und Bühnenbild. Zahllos sind zum Beispiel die Zitate und
    Lösungen einer kühnen Avantgarde in dem neuen
    Guggenheim-Museum von Bilbao, das jedoch auch
    Besucher anzieht, die keine Ahnung von Architektur-
    geschichte haben, und das ganz allgemein (auch statistisch
    gesprochen) »gefällt«. Im übrigen findet sich dieses
    Element auch in den Songs der Beatles, die nicht zufällig
    unter anderem in der Manier von Purcell vorgetragen
    worden sind (auf einer unvergeßlichen Platte von Cathy
    Berberian), eben weil diese eingängigen und angenehmen
    Melodien »hochkulturelle« Stileme und Echos aus
    früheren Zeiten benutzen, die das geschulte Ohr hören
    kann.
    Beispiele für Doppelkodierung finden sich heute in
    vielen Werbespots, die wie experimentelle Filme gebaut
    sind, denen früher nur verschwindend kleine Cinephilen-
    Grüppchen applaudiert hätten, die jedoch aus wechselnden
    »populären« Gründen – Anspielung auf erotische Situa-
    tionen, Reiz eines bekannten Gesichts, Schnittrhythmus,
    unterlegte Musik – alle Arten von Zuschauern anziehen.
    Viele literarische Werke sind wegen eines wieder-
    entdeckten Plots mit spannender Handlung von einem
    breiten Publikum akzeptiert worden, das eigentlich hätte
    abgeschreckt sein müssen von ihren auch verwendeten
    avantgardistischen Stilmitteln wie dem inneren Monolog,
    dem metanarrativen Spiel, der Vielzahl von »Stimmen«,
    die sich in den Gang der Erzählung einmischen, dem
    Aufbrechen der zeitlichen Abfolge, dem raschen Wechsel
    der Stilregister, dem Vermischen des Erzählens in der
    dritten und in der ersten Person und der freien indirekten
    oder erlebten Rede.
    258
    Dies alles würde indes nur heißen, daß es eben ein
    Charakteristikum der sogenannten Postmoderne ist, Erzäh-
    lungen vorzulegen, die ein breites Publikum anziehen
    können, obwohl sie mit gelehrten Anspielungen und
    »anspruchsvollen« Stilmitteln operieren beziehungsweise
    (in den glücklichsten Fällen) beide Komponenten in einer
    nichttraditionellen Weise verschmelzen. Zweifellos ist
    dies ein interessantes Phänomen und hat nicht umsonst
    verblüffende Erklärungsversuche bei den Theoretikern des
    sogenannten »Qualitätsbestsellers« hervorgerufen, das
    heißt jenes Buchtyps, der gefällt, obwohl er einen
    gewissen künstlerischen Anspruch hat und den Leser mit
    Problemen oder Verfahrensweisen konfrontiert, die früher
    allein das Kennzeichen der Elitekunst waren.
    Es ist nie klar gewesen, ob unter Qualitätsbestseller ein
    auf Popularität angelegter Roman zu verstehen ist, der
    einige anspruchsvolle Strategien benutzt, oder ein an-
    spruchsvoller Roman, der aus irgendwelchen mysteriösen
    Gründen populär geworden ist. Im ersten Fall müßte das
    Phänomen durch eine Strukturanalyse des Werks erklärt
    werden, die beispielsweise zu dem Ergebnis käme, daß
    seine Attraktivität für den Massengeschmack auf der

Präsentation einer spannenden Geschichte beruht, wo-
    möglich einer Kriminalgeschichte, die den Leser mitreißt
    und ihm dadurch ermöglicht, die stilistischen oder
    strukturellen Hürden zu überwinden. Im zweiten Fall
    beträfe das Phänomen die Kompetenz einer Rezep-
    tionsästhetik und mehr noch eine

Weitere Kostenlose Bücher