Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
erschien der Bischof, offenbar kerngesund. Er kam mit einem Gefolge von einem Dutzend weiterer Geistlicher, und unter ihnen war auch Michel, der Knappe des alten Grafen.
Der Bischof schlug seinen Stab auf das Pflaster, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als der neue Graf geruhte, seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, zeigte der Bischof mit dem Stab auf ihn. Stille breitete sich im Burghof aus, da die Männer spürten, dass etwas in der Luft lag. Joscelyn, dessen breites Gesicht von der Hitze des Feuers glänzte, zog eine finstere Miene. «Was wollt Ihr?», fuhr er den Bischof an, der seiner Ansicht nach nicht genügend Ehrerbietung an den Tag gelegt hatte.
«Ich will wissen», entgegnete der Bischof, «wie Euer Onkel gestorben ist.»
Joscelyn trat ein paar Schritte auf die Abordnung zu. Der Klang seiner Stiefel hallte von den Mauern wider. Im Hof befanden sich mindestens hundert Männer, und einige von ihnen, die bereits vermutet hatten, dass der alte Graf ermordet worden war, bekreuzigten sich. Doch Joscelyn ließ sich davon nicht beeindrucken. «Er ist im Schlaf gestorben», sagte er laut. «Er war krank.»
«Eine seltsame Krankheit, die zu einer aufgeschlitzten Kehle führt.»
Im Hof erklang Gemurmel, das sich schnell zu empörtem Protest steigerte. Henri Courtois und einige der Soldaten des alten Grafen griffen nach dem Schwertknauf, doch Joscelyn blieb ungerührt. «Was werft Ihr mir vor?», herrschte er den Bischof an.
«Euch werfe ich gar nichts vor», erwiderte der Bischof. Er wollte sich nicht mit dem neuen Grafen anlegen, zumindest jetzt noch nicht, sondern ihn über seine Schergen angreifen. «Aber Euren Männern. Dieser Knappe» – er schob Michel nach vorn – «hat gesehen, wie sie Eurem Onkel die Kehle durchgeschnitten haben.»
Wiederum erklang entsetztes Gemurmel, und einige der Soldaten stellten sich neben Courtois, als wollten sie den Truppenführer ihrer Unterstützung versichern. Joscelyn beachtete die Unruhe nicht, sondern wandte sich an Villesisle. «Ich habe dich geschickt», sagte er laut, «meinen lieben Onkel um ein Gespräch zu bitten. Und jetzt höre ich, dass du ihn getötet hast?»
Villesisle war so schockiert über die Anschuldigung, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Er schüttelte nur den Kopf, aber so zögernd, dass alle Umstehenden von seiner Schuld überzeugt waren. «Ihr wollt Gerechtigkeit, Bischof?», rief Joscelyn über die Schulter.
«Das Blut Eures Onkels schreit danach», sagte der Bischof, «und Eure Anerkennung als rechtmäßiger Erbe ist davon abhängig.»
Joscelyn zog sein Schwert. Er trug keine Rüstung, nur Beinlinge, Stiefel und ein gegürtetes wollenes Wams, während Villesisle in einen Ledermantel gekleidet war, der ihn vor den meisten Schwertstreichen schützen würde. «Lassen wir den Kampf entscheiden», sagte er zum Bischof.
Villesisle wich zurück. «Ich habe doch nur das getan, was Ihr –», begann er, musste jedoch hastig ausweichen, da Joscelyn ihn mit zwei schnellen Schwertstreichen attackierte. Villesisle bekam Angst. War dies etwa kein harmloses Klingenkreuzen, um den Bischof zu besänftigen, sondern ein richtiger Kampf? Er zog ebenfalls das Schwert. «Herr», sagte er flehend zu Joscelyn.
«Gib dir Mühe, dass es echt aussieht», flüsterte Joscelyn ihm zu. «Alles andere regeln wir hinterher.»
Erleichterung durchströmte Villesisle. Er grinste und machte seinerseits einen Ausfall, den Joscelyn parierte. Die Umstehenden bildeten einen Halbkreis vor dem Feuer, um den beiden Raum zu geben. Villesisle war kein Anfänger, er hatte in zahlreichen Turnieren und Gefechten gekämpft, aber Joscelyn war größer und stärker, und diese Vorteile brachte er jetzt auch zum Einsatz. Er schwang sein Schwert in kraftvollen Hieben, die Villesisle verzweifelt parierte. Villesisle wich Schritt um Schritt zurück, dann sprang er zur Seite, sodass Joscelyns mörderischer Hieb nur die rauchige Luft zerteilte, und ging sofort mit einem Ausfallschritt zum Angriff über, doch Joscelyn hatte damit gerechnet, wehrte den Stoß ab und drängte so machtvoll nach vorn, dass Villesisle das Gleichgewicht verlor und rücklings auf dem Pflaster landete, Joscelyn drohend über ihm. «Ich muss dich vielleicht einsperren», flüsterte Joscelyn ihm kaum hörbar zu, «aber nicht für lange.» Laut sagte er: «Ich habe dir befohlen, meinen Onkel aufzusuchen und mit ihm zu sprechen. Leugnest du das?»
Villesisle spielte bereitwillig mit. «Ich leugne es
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