Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
Aufruhr zu besänftigen.
Er strich ihr die Locken aus dem Gesicht. »Alles in Ordnung?«
»Als ich Tina gesehen habe, war alles okay.«
Seine Miene war besorgt. »Auch Beinaheunfälle können einem an die Nieren gehen.«
Sie unterdrückte jeden Gedanken an die Gefahren, die sein Einsatz am Horn von Afrika heraufbeschwor. Nie im Leben hätte sie sich vorgestellt, sich noch einmal derart in einen Mann verlieben zu können.
»Aus welchem Teil der Hölle kommt dein neuer Fall?«, fragte er.
»Ich soll eine psychologische Autopsie zu Tasia McFarland machen. Das wird ein Ritt auf dem Tiger.«
Er machte große Augen. »Aufgeregt?«
Sie musste kurz nachdenken. »Ja.«
»Bist du bereit für die Raubtiere, die sich aus dem hohen Gras auf dich stürzen werden?«
»Natürlich nicht.«
»Du stehst eben auf Nervenkitzel.«
Kluger Junge, dieser Quintana. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. »Da hast du Recht. Wie lang kannst du bleiben?«
Lächelnd zog er sie an sich. Da klingelte sein Handy.
Jo lehnte sich zurück.
Er meldete sich. »Dave, was ist los?«
Dave Rabin, sein Vorgesetzter. Nach fünf Sekunden wusste sie, dass für ihn ein ganz anderer Nervenkitzel auf dem Programm stand.
»Sechzig Minuten. Bin schon unterwegs.« Er schaltete das Telefon ab. »Ein Tanker achthundert Kilometer vor der Küste meldet einen Brand im Maschinenraum. Treibt steuerlos mit dem Heck im Wasser. Mehrere Tote.«
Widerstrebend ließ Jo ihn los. Es war, als stünde er unter
Strom. Er legte ihr die Hand auf die Hüfte und küsste sie noch einmal.
»Hol sie raus«, sagte sie. »Sei vorsichtig.«
Dann lief er die Stufen hinunter zu seinem Wagen. Sie stand wie festgefroren auf der Schwelle. Sie hatte keine Lust, die Tür zu schließen und sich mit der Unwiderruflichkeit von Tasia McFarlands Tod zu befassen. Sie schaute ihm nach, bis er verschwunden war.
KAPITEL 10
Schweißgebadet und atemlos polterte Noel Michael Petty die Hoteltreppe hinauf, den Gegenstand unter der Jacke des Kampfanzugs verborgen. Der muffig feuchte Korridor war leer. Petty stürzte ins Zimmer, knallte die Tür zu und lehnte sich atemlos dagegen. Kein Verfolger. Keiner hatte etwas gemerkt. Im Stadion nicht und auch sonst nirgends auf der Strecke hierher in den Stadtteil Tenderloin.
Wenn man schwebt wie ein Engel, wird man eben unsichtbar.
Schnell, die Tür verriegeln. Platz auf dem Tisch machen. Weg mit der Schere und den Ausschnitten. Sollen die Artikel aus den Boulevardblättern und die Fotos aus den Hochglanzmagazinen ruhig auf den Boden fallen. Erst mal Luft holen.
Vorsichtig, fast feierlich öffnete Petty die Jacke und nahm den Gegenstand heraus. Es war ein Stück Rasen vom Baseballplatz, ein Klumpen Gras und Erde im Durchmesser einer CD. Petty legte ihn auf den Tisch und streichelte die Halme wie das weiche Haar eines Babys.
Der Sieg ist mein.
Schließlich nahm Petty die grüne Rollmütze ab und knipste
den Fernseher an. Die heutigen Ereignisse waren von historischer Tragweite. Es war entscheidend, jeden Moment, jede wunderbare Sekunde auszukosten.
Da: Nachrichten. Vertraut und aufregend flimmerten die Bilder über den Monitor. Der Rauch so schwarz, das Blut so rot, das dichte Haar, das Tasias Kopf umrankte wie ein goldener Kometenschwanz. Schreiende Leute, die vor ihrer Leiche flohen. Mit ihrem Tod hatte Tasia die Menschen erschreckt. Blöde Kuh.
Dann schob sich Searle Lecroix durch die Menge. Petty zog eine Grimasse.
Zu spät, Searle. Sie ist hinüber. Sie kann keinem Mann mehr die Liebe aus den Knochen saugen. Wir sind frei.
Frei. Petty schielte auf den Gegenstand. Ein Wahrzeichen der Erlösung, wie ein Brocken der Berliner Mauer.
Lecroix drängte an den gierigen Schaulustigen auf dem Feld vorbei, an den Gaffern, die ein Stück von Tasia McFarland wollten, die später erzählen wollten: Ich war dabei. Aber denen ging es nur um Ruhm und Rührseligkeit. Sie hatten keine Ahnung. Tasias Tod war kein Unfall, sondern ein Triumph.
Auf dem Bildschirm sank Lecroix neben Tasias Leiche auf die Knie.
Petty zuckte zusammen. »Searle, du Idiot.«
Der Tod einer blöden Kuh sollte einen Mann nicht so treffen. Es war ein schmerzlicher Anblick, der den Sieg schmälerte.
Wenn man den Gerüchten glaubte, hatte Tasia Searle Lecroix in ihr Bett gelockt. Aber er hatte sie nicht wirklich gekannt. Es war unmöglich, dass er sich ihr hingegeben und von ihr etwas Gleichwertiges bekommen hatte. Nicht von
einer hemmungslosen, halb wahnsinnigen Nutte, die sogar
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