Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
Robert Titus McFarland zum Podium.
Er besaß den asketischen Körperbau und den schwerelosen Gang eines Langstreckenläufers. Sein Haar war so schwarz wie eine Priestersoutane und kurz geschoren, ein Erbe seiner Jahre beim Militär. Die Schläfen waren grau gesprenkelt.
Mit beiden Händen umfasste er die Kanten des Pults. Er machte einen mitgenommenen Eindruck. Er besaß weder Bill Clintons Charme noch Kennedys Elan noch Reagans entwaffnende Schrulligkeit. Dafür strahlte er eine kantige Würde und einen Lakonismus aus, die die Experten auf seine Wurzeln in Montana zurückführten.
Er spähte ins Scheinwerferlicht. »Die heutige Nachricht aus San Francisco hat mich schockiert und mich in tiefe Trauer versetzt.« Die letzten Worte ließ er schwer über das Pressekorps rollen, bis jeder einzelne Reporter gebannt auf seinem Stuhl saß und es ganz leise im Saal wurde.
»Meine Gedanken sind bei der Familie des Piloten, der sein Leben verloren hat, und bei all jenen, die verletzt wurden.«
McFarland war ein Sonderfall: ein Liberaler aus der Arbeiterklasse, ein Krieger, der sich zum Kriegsgegner gewandelt hatte. Er war in einem Fertighaus auf einer Rinderfarm bei Billings als Sohn des Vormanns und einer Salvadorianerin aufgewachsen. Er gewann die Geländelaufmeisterschaft
des Bundesstaats, studierte an der West Point Academy und diente an Brennpunkten um den gesamten Globus, ehe er - unter großem Aufsehen - sein Offiziersamt niederlegte, um dagegen zu protestieren, dass die Verantwortung für einen Vorfall, bei dem eigene Truppen beschossen worden waren, ausschließlich von untergeordneten Offizieren übernommen wurde, während die höheren Ränge ungeschoren davonkamen. Zurück in Montana, studierte er Jura, spezialisierte sich auf Umweltrecht und ging in die Politik. Danach folgte ein kometenhafter Aufstieg. Nach fünf Jahren im Senat wurde er zum Präsidenten gewählt.
Er galt als schnell denkender, energischer Politiker, der alles im Kopf behielt wie auf einer geistigen Schlachtfeldkarte und den Kontakt zu Untergebenen und Rivalen pflegte. Kurz gesagt, ein Oberbefehlshaber.
Vor langer Zeit hatte er Fawn Tasia Hicks geheiratet und sich dann wieder von ihr scheiden lassen. Zwei Jahrzehnte lang hatte er sorgfältig jede Äußerung über sie vermieden. Seit siebzehn Jahren war er mit der jetzigen First Lady verheiratet, die einen beruhigenden Einfluss auf ihn ausübte und gern an der frischen Luft war. Sie hatten Zwillinge sowie einen Golden Retriever und hielten Rotschimmel auf einer Weide bei Missoula. Tasia war kein Grund zur Beunruhigung gewesen. Keine politische Hypothek, höchstens eine Kuriosität.
Damit war es jetzt vorbei. Gleich weiß ich, wem ich da eigentlich meine Stimme gegeben habe , dachte Jo.
McFarlands Blick wanderte durch den Pressesaal. »Tasias Tod ist eine Tragödie. Sandy und ich sprechen ihrer Familie unser Beileid aus. Zusammen mit ihren Freunden und vielen
Menschen im Land trauern wir heute um diesen schweren …« Seine Stimme wurde langsamer, tiefer. »… Verlust.«
Er hielt inne und verlagerte das Gewicht. Ohne das Pult loszulassen, schüttelte er den Kopf. Es war, als würde er einen anderen Gang einlegen.
»Bei einem Anlass wie diesem hilft keine vorbereitete Erklärung.« Offen schaute er die Pressevertreter an. »Diese Nachricht ist wie ein Tritt in den Magen. Tasia war zu jung, um zu sterben.«
Hinter ihm, am Bildschirmrand, standen Berater und der Stabschef des Weißen Hauses. McFarland schielte kurz zu ihnen hinüber. Ihre Anwesenheit schien ihn zu stärken.
»Tasia war eine Naturgewalt. Schlicht und ergreifend: Sie hatte mehr Persönlichkeit als jeder andere Mensch, der mir begegnet ist. Mit einem Blick konnte sie Berge versetzen. Und trotz ihrer großen Begabung als Sängerin und ihres Ruhms war es vor allem ihre Großzügigkeit, die sie ausgezeichnet hat. Sie hatte ein Herz, so weit wie der Himmel.«
Er hielt inne. »Dass sie durch einen Schuss aus einer Pistole gestorben ist, die ich erworben habe, ist erschütternd. Es gibt kein anderes Wort dafür.«
Lautes Gemurmel erhob sich im Saal. McFarland ließ sich Zeit, um sich seinen nächsten Satz zu überlegen.
»Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, heute Abend Rede und Antwort zu stehen, aber vorhin beim Eintreten habe ich die Frage gehört, ob ich zu dem Zeitpunkt, als ich ihr die Waffe anvertraut habe, von ihrer bipolaren Störung wusste.«
Im Hintergrund erstarrte der Stabschef des Weißen Hauses. K.T. Lewicki
Weitere Kostenlose Bücher