Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
ich das mit dir mache?
Warum antwortest du nicht?
ANTWORTE
Jo zischte unwillkürlich durch die Zähne, als sie die Nachricht mit dem Betreff »Antworte« öffnete.
Niemand hat dir erlaubt, so unhöflich zu sein. Ich hab dir so oft geschrieben, und du lässt dich zu keiner einzigen Antwort herab. Du bist eine ausgewachsene SCHLAMPE.
»Was ist?« Vienna sah sie an.
Nächste Mail. Wie neunundneunzig Prozent der Nachrichten im Posteingang stammte sie von Archangel X.
Du hast kein Recht, mich zu ignorieren. Bald seh ich dich, Schlampe. Ich seh dich auf der Bühne. Ich seh dich, wenn du schläfst. Ich seh dich im Jenseits.
Jo zückte ihr eigenes Handy und wählte Amy Tangs Nummer.
Vienna las den Text auf dem Bildschirm. »O Gott.«
»Ja«, sagte Jo. »Ihre Schwester hatte einen Stalker.«
KAPITEL 20
An der Turk Street stieg NMP aus dem klapprigen Muni-Bus. Die Haltestelle war mit Graffiti verschmiert. Im Westen streifte die Sonne die Dächer. Golden und scharf wie ein anklagender Finger deutete sie direkt auf ihn. Wachsam spähte er umher.
Nein. Lass dir nichts anmerken von deinem Verdacht, dass sie hinter dir her sind. Geh ganz normal.
Er zog sich die Rollmütze tief in die Stirn und stapfte die Straße entlang. Zwischen den Häusern keifte der Wind. Panisch verkrampfte er die Hände ineinander. Die Leute konnten ihn sehen. Zu schweben wie ein Engel hatte nicht geklappt.
Reiß dich zusammen. Du bist NMP, der große fiese Scheißkerl. Das Schwert der Wahrheit.
Sie sollen es sehen. Zeig ihnen, dass du ein Schwergewicht bist. Sie müssen wissen, wenn sie sich mit dir anlegen, dann gibt es mächtig Ärger. So bleiben sie auf Abstand.
Und wenn nicht, kriegen sie einen Stein auf den Schädel.
Das Tenderloin war kein Viertel, in dem man sich nach Einbruch der Nacht allein herumtrieb. Aus rostenden Tonnen
stank der Müll. Auf einem leeren Grundstück hinter einem unkrautdurchwucherten Maschendrahtzaun lehnten drei Kerle an der Stoßstange eines Autos. Sie waren dürr wie Ölmessstäbe. Lachten.
Seit der Begegnung in Tasias Haus war NMP mit dem Bus herumgefahren und hatte sich durch Nebenstraßen geschlichen, immer in Bewegung. Und überall hatten ihn die Leute angestarrt. So wie früher in der Schule, im Kino, in der Bibliothek Noel Michael Petty, den Schwertransporter mit Überbreite. Oder Noels Schwester und ihre Freundinnen, wenn sie im Schulbus gekichert hatten: Wahnsinn, was für ein Wabbelarsch.
Und die Auseinandersetzung heute war furchtbar schiefgelaufen.
Die ganze Überwachungsaktion, die vielen Stunden in der Nähe von Tasias Haus, alles umsonst. Und als NMP endlich die Chance hatte, sich hineinzuschleichen, tauchte plötzlich der Musikjournalist auf, und dann noch diese Fremde, die Fotos gemacht hatte. Die Frau hatte sich in seinem Kosmos bewegt. Sich umgeschaut, ihm den persönlichen Moment gestohlen. NMP wusste genau, was sie vorhatten. Sie wollten Tasias Haus in einen Schrein verwandeln. Die Basilika für die Promifotze. Damit sie die Lüge verbreiten konnten. Liebe Liebe Liebe blablabla.
NMP hätte dem Typen noch einen härteren Schlag verpassen sollen. Und öfter. Ihn alle machen.
Er näherte sich einem heruntergekommenen, am Straßenrand parkenden Pick-up. Im Führerhaus war ein Hund eingesperrt. Der Köter sprang ans Fenster und kläffte ihn an.
Tasias Schlafzimmer. Die Gitarre beim Stuhl. Stiefel vorm Bett …
Er wollte schreien, aber konnte es nicht. Schsch. Verrat es nicht, meine Liebste.
Die schmutzige Straße unter den Füßen, stöhnte NMP. Searle hatte Tasia beim Striptease zugeschaut. Searle hatte sich neben ihrem Bett ausgezogen. Sie hatte ihn genommen, hatte sich mit ihm vergnügt, hatte ihren Geruch, seinen Geruch im Zimmer verteilt wie eine Mahnung. Wie eine Ohrfeige.
Monatelang hatte NMP es nicht wahrhaben wollen. War loyal geblieben. Zeitungsklatsch, inszenierte Lügen, publikumswirksam aufgebauscht - etwas anderes durfte Tasias angebliche Affäre nicht sein. Durfte nicht. Aber sie war nicht erfunden. Sie war real.
Ein Schrei drang aus seiner Kehle.
Der Hund kläffte immer noch. NMP stapfte zum Pick-up und bellte zurück. Der Hund rastete aus, seine Pfoten scharren wie wild, der Geifer sabberte auf die Fensterscheibe. NMP packte die Radioantenne des Wagens. Riss sie hin und her, bis sie abbrach. Steckte sie durch den Fensterspalt und stach nach dem Hund. Wieder und wieder.
»Hey!«
Er rüttelte am Glas und prügelte mit der Antenne auf den Köter
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