Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
ein.
»Weißes Haus.«
Sie unterdrückte ein Wimmern und den Drang O mein Gott, o mein Gott zu plärren. Sie bat darum, mit Sylvia Obote verbunden zu werden, der Sekretärin des Präsidenten. Nach einer Weile meldete sich Obote. »Präsidialamt.«
»Hier spricht Dr. Johanna Beckett.« Jo glaubte zu hören, dass ihre Stimme wackelte wie ein verbogener Fahrradreifen. »Ich rufe aus San Francisco an.«
»Was kann ich für Sie tun?«
Red einfach. Die Frau wird dich schon nicht auffressen. »Ich führe im Auftrag des San Francisco Police Department eine psychologische Autopsie zu Fawn Tasia McFarland durch.«
Schweigen.
»Ich bin dabei, Ms. McFarlands letzte Tage zu rekonstruieren. Es ist wichtig, dass ich mit dem Präsidenten über sein Treffen mit ihr rede.«
Obote hatte einen Anruf dieser Art wohl schon erwartet. »Wenn Sie uns per E-Mail Ihre Referenzen schicken und eine Liste von Fragen anhängen, leite ich sie an den Rechtsberater des Weißen Hauses weiter.«
»Natürlich. Ich bin dankbar für jede Information, die mir der Präsident geben kann, und mir ist auch bewusst, wie kostbar seine Zeit ist.« Immer schön in den Arsch kriechen. »Aber Zeit ist auch für diese Untersuchung ein entscheidender Faktor. Eine direkte Unterredung mit dem Präsidenten wäre wesentlich hilfreicher als ein E-Mail-Austausch.«
Die Sekretärin leierte einfach eine E-Mail-Adresse herunter. »Ich leite Ihre Anfrage an die zuständige Stelle weiter.«
»Vielen Dank, Ms. Obote.«
Nach dem Telefonat hielt Jo das Handy, als würde es rot glühen. Ob die Sekretärin jetzt wohl wieder an ihren Nägeln feilte und auf ihrem Brettspiel Risk kleine Armeen versetzte? Oder wurden vor Jos Haus am Russian Hill bereits schwarze Helikopter, Richtmikrofone und Männer mit kleinen Ohrhörern in Stellung gebracht?
Vielleicht fing so Paranoia an.
Als Jo in die stille Straße bog, streifte der Abendstern die Berge im Westen. Gabes kleines Häuschen in Noe Valley stand unter einer immergrünen Eiche, umgeben von Eigenheimen junger Familien. In der Einfahrt parkte sein 4Runner. Die Eichenblätter raschelten im Wind. Sie klopfte an die Tür.
Als Gabe öffnete, lag sein Gesicht im Schatten. Aber auch so konnte ihr nicht entgehen, wie erschöpft er war. Sie hielt sich zurück. »Komm ich ungelegen?«
Er zog sie nach drinnen, umarmte sie und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. »Nie.«
Die Lichter glänzten bernsteinfarben. Im Haus roch es nach Kaffee. Sein Notebook stand aufgeklappt auf dem Couchtisch.
»Wie geht es Sophie?«, fragte Jo.
»Schläft wie ein Zombie. Stöhnt dazwischen und spuckt.«
Den Arm um ihre Schultern gelegt, steuerte er in Richtung Wohnzimmer. Er ließ sich aufs Sofa fallen und zog sie zu sich herunter. An der Wand hingen Drucke von der Golden Gate Bridge und vom Hindukusch neben Aquarellen in kräftigen Grün- und Blautönen, die Sophie gemalt hatte. Beim Computer hing ein markiertes Kapitel seiner Dissertation über Kierkegaards Entweder - Oder. Ausdruckslos glitt sein Blick darüber hinweg.
Immer wenn Jo ihn nach dem Grund seines Theologiestudiums fragte, gab er ihr ausweichende Antworten. »Ich war ein guter Ministrant« war einer der Favoriten.
Es gab wohl nur wenige Leute bei der Air Force, die ein Studium der katholischen Moraltheologie für einen guten Karriereschritt hielten. Die Kurse boten ihm Erholung von
der harten Welt, in der er arbeitete. Aber sie vermutete, dass hinter seinem Streben, das Universum zu ergründen, auch persönliche Motive steckten. Vielleicht eine Sehnsucht nach Verbundenheit oder ein Schmerz, den er lindern wollte. Ein Mystiker war er jedenfalls nicht. Er beugte sich keinem Dogma und konnte sich auch nicht für Wundmale begeistern. Mitunter vertiefte er sich in seine Studien in dem Bemühen, den Kontakt zu einer Ewigkeit herzustellen, die die zerbrochene Welt aus Zeit und Raum umgab.
Manchmal gefiel ihr das. Aber manchmal spürte sie auch ein bohrendes Gefühl in der Brust und wünschte sich, dass er sich lieber in ihr Leben vertiefte.
Und Gabes grüblerische Seite stand im Widerspruch zu seinem Berufsleben als Rettungsspringer. In Moffett Field prangte das Motto der Bergungskräfte in zwei Meter hohen Lettern auf den Toren des Hangars: DAMIT ANDERE ÜBERLEBEN. Im Namen dieser Worte stürzte er sich Tag für Tag in den Abgrund.
Sein Chief Master Sergeant hatte einmal im Scherz zu Jo gesagt, dass die Arbeit der Rettungsspringer auf »Abwechslung mit Spielsachen« hinauslief. Sie
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