Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
Schwierigkeiten, im Netz zu bleiben. Stimmt was mit eurem WLAN nicht?«
Jo lauerte, ob jemand aufblickte. Fehlanzeige.
Dann wehte es sie an. Right-Guard-Deo.
Sie erstarrte. Right Guard und Weichspüler mit Duftstoffen - diese Aromen hatten ihr auch in die Nase gestochen, als der Einbrecher auf sie gestürzt war. Ihr lief ein Schauer über den Rücken.
»Er ist in der Nähe«, flüsterte sie.
Der Geruch wurde rasch von anderen verdrängt: Kaffee, Zucker, Babyerbrochenes.
»Er ist hier, ganz sicher.«
Ihre Handflächen juckten. Bohrs Polizist und Tang waren noch meilenweit entfernt.
Wie konnte sie die Suche eingrenzen? »Gibst du mir noch mal dein Telefon?«
Ferd reichte es ihr, und sie blätterte durch die E-Mails, die der Gesuchte als Archangel X, NMP und Noel Michael Petty hinterlassen hatte.
Wie er Tasia beschrieb. Gierig auf Männer … unersättlich … egoistisch. Bienenkönigin, die alles für sich hortet …
Überall ging es um Besitz, Verbrauch, Eigentumsanspruch. Die Texte strotzten nur so vor Eifersucht. Und trotzdem
klang es nicht besitzergreifend gegenüber Tasia. Nicht auf die Weise, wie sich gewalttätige Stalker äußerten.
Auf einmal erkannte Jo, was ihr seltsam an den Botschaften von Archangel X vorgekommen war. Der Subtext lag nicht in seinen Worten, sondern in dem, was fehlte.
Archangel X sprach nie davon, dass Tasia ihm gehörte. Er sprach darüber, dass sie andere wegnahm, dass sie Männer sammelte und ihn ausgrenzte.
»O Mann.«
Archangel X war wütend auf Tasia, aber nicht weil sie ihn verschmäht hatte. Er glaubte nicht, dass sie ihm gehörte. Er sprach nie über sie, als hätten sie eine Beziehung.
Er redete über all die Männer, die sie nahm und anderen vorenthielt.
Archangel X hatte Tasia nicht für sich gewollt. Er war böse auf sie, weil sie ihm einen anderen Mann weggenommen hatte. Wir warten noch immer, aber sie hat alles unmöglich gemacht.
In dem überfüllten Café schob sich die Mutter mit dem Kinderwagen vorbei. Das Baby brüllte. Der Kinderwagen stieß gegen Jos Schienbeine. Nuschelnd entschuldigte sich die Frau.
Jo überlegte fieberhaft. Sie hatte alles aus dem verkehrten Blickwinkel betrachtet. Archangel X war besessen und warf Tasia vor, sein Leben ruiniert zu haben. Aber kein einziges Mal hatte er sich in Fantasien oder Wahnvorstellungen über eine Beziehung mit ihr ergangen. So viel war inzwischen klar.
War er schwul und auf einen anderen Mann fixiert?
Ihre Hände begannen zu schwitzen. Mühsam stemmte die
Mutter die Tür auf. Doch eine andere Frau, die mit der grünen Mütze, quetschte sich noch vor ihr durch.
»Danke, ich hab ja nichts anderes zu tun«, rief ihr die Mutter giftig nach. Die Frau mit der Mütze zeigte ihr den Mittelfinger und stapfte weiter.
Und wieder roch Jo Right Guard.
»Oh nein.«
Während sie schon zur Tür raste, rief sie erneut Tang an.
Ferd stolperte ihr nach. »Was ist?«
Sie schaute durchs Fenster hinaus. Keine Spur von den beiden Frauen.
»Das ist Archangel X.« Sie riss die Tür auf. »Es ist kein Mann, sondern eine Frau.«
Die Frau mit der grünen Mütze. Und sie war verschwunden.
KAPITEL 35
Noel Michael Petty stürmte die Kearny Street hinauf. Kopf nach unten, Lippen zusammengekniffen, mit klatschenden Schuhsohlen. Scharf wie rote Glasscherben zuckte der Zorn durch die Luft.
Wer war hinter Archangel X her? Es war kein Zufall, dass der drahtlose Internetzugang im Starbucks abgeschnitten worden war. Das hatte jemand mit Absicht getan. Tasias Leute? Robert McFarland? Die Polizei?
Sie hatten Archangel X zum Schweigen gebracht. Mitten im großen Finale, der endgültigen Enthüllung der Wahrheit, hatten sie Archangel X die digitale Kehle aufgeschlitzt.
Sie waren Archangel X auf der Spur. Das hieß, sie waren auch NMP auf der Spur. Die Tarnung hatte nicht gehalten.
Petty riss sich die Mütze herunter und warf sie in den Rinnstein. Stapfte weiter. Schlüpfte aus der Jeansjacke und schleuderte sie unter ein parkendes Auto. Zerrte heftig an den Knöpfen des Männerhemds. Das mit dem großen fiesen Scheißkerl hatte nicht funktioniert. Sich als NMP auszugeben, der gemeinste Typ des Tenderloin, damit niemand hinter der Jacke, der Mütze und der Attitüde die kleine Noel bemerkte,
hatte nicht geklappt. Irgendjemand musste sie verraten haben.
Und sie wusste auch schon, wer.
Sie zog an dem Denimhemd, bis ein Knopf absprang, rupfte es sich herunter und stopfte es in eine Mülltonne. Ihr T-Shirt war dünn, und der nebelige
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