Die Champagnerkönigin
oder?« Sie versuchte, nicht zu vorwurfsvoll zu klingen. Sicher, so ein Rückschnitt war wichtig. Aber ein voller Magen war es auch.
»Und wenn schon.« Leon winkte ab. »Ein, zwei gute Aufträge, und die Kasse klingelt wieder. Wahrscheinlich schon heute, lass mich nur machen!«
Sie küssten sich lange und innig zum Abschied, dann schwang sich Leon auf sein Rad.
Gedankenverloren winkte Isabelle ihm nach. Heute wollte er in die Gegend nördlich von Reims fahren, um nach neuen Kunden Ausschau zu halten. Ob er dabei wohl mehr Erfolg hatte als in den letzten Tagen? Hier und da ein paar Flaschen – mehr hatte Leon bisher nicht verkauft. Das Geld, das er nach Hause brachte, reichte hinten und vorn nicht aus. Und nun hatte er auch noch die letzten Groschen dem Kellermeister gegeben …
Panik stieg in ihr auf, während ihr Blick über das weitläufige Anwesen schweifte. Die Pfauen, die Pferde und die Hühner – sie alle brauchten Futter! In zwei Wochen war Monatsende, und sie würden Grosse und Claude Bertrand ihren Lohn zahlen müssen. Beiden Männern hatte sie hoch und heilig versprochen, den Lohn bis dahin bereitzuhalten. Sie selbst musste Lebensmittel einkaufen und hin und wieder auch etwas für den Haushalt. Wie sollte sie das alles nur hinbekommen?
Leon konnte es sich selbst nicht erklären, warum der Erfolg bisher ausgeblieben war. An mangelndem Einsatz lag es gewiss nicht – täglich fuhr er mit dem Rad bis zu zehn Restaurants, Bistros und Hotels an. Aber entweder hatten die Wirte schon Lieferanten und waren nicht gewillt, diese zu wechseln. Oder ihre Champagnervorräte waren zu groß, als dass die Wirte ans Nachkaufen denken mussten. Oder es fehlte an Geld. Oder die Kundschaft trank lieber Wein und Bier. Oder, oder, oder.
»Champagner ist nun einmal Geschmackssache«, hatte Leon erst gestern Abend als Grund dafür angeführt, dass er wieder einmal nichts verkauft hatte.
»Aber andere Winzer bekommen ihre Ware auch los! Da kann es doch nicht sein, dass allein bei uns der Keller überquillt«, hatte Isabelle erwidert.
»Glaubst du, ich bin zu blöd zum Verkaufen? Ich rede mir wirklich den Mund fusselig, das kannst du mir glauben!« Leon war wütend geworden.
»Womöglich besuchst du einfach nur die falschen Leute. Du musst erstklassige Häuser aufsuchen, verstehst du?« Zu gern hätte sie einmal Mäuschen gespielt bei einem seiner Verkaufsgespräche.
»Ach, und du allein weißt, was erstklassig ist, während ich nur Spelunken kenne, ist es so?«
Ein Wort hatte das andere ergeben. Erst später, im Bett, hatten sie sich wieder versöhnt.
In der Ferne sah sie Leon auf der Hauptstraße in Richtung Épernay entlangfahren. Sie schaute bittend in den veilchenblauen Himmel, der mit weißen Schlierenwolken durchzogen war.
Lieber Gott, lass ihn heute Erfolg haben und mit ein wenig Geld nach Hause kommen!
Nachdem sie das Geschirr vom Frühstück gespült hatte, schaute Isabelle wie jeden Morgen kurz bei Claude Bertrand vorbei. Unterm Arm trug sie eine dicke Plane, sie war so schwer, dass sie immer wieder zu Boden zu gleiten drohte.
Während sie mit dem Kellermeister bisher nur wenig zu tun hatte, war ihr Kontakt zu dem Verwalter in den ersten zwei Wochen recht intensiv geworden. Bertrand hatte erkannt, dass Isabelles Interesse am Weingut nicht oberflächlich oder gar gespielt war, sondern dass sie wirklich gewillt war, mit anzupacken. Deshalb hatte er begonnen, sie mit den täglichen Abläufen vertraut zu machen. Allmählich verstand Isabelle, wie die einzelnen Rädchen ineinandergriffen, welche Aufgaben wie viel Zeit und Geld in Anspruch nahmen und was mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen war. Ein- oder zweimal hatte sie Claude Bertrand sogar mit einer guten Idee erstaunt, die nicht viel oder gar kein Geld kostete, dafür aber Nutzen brachte. Nichts Großes, aber es zeigte, dass sie verstanden hatte, wie der vielseitige Betrieb mit seinen Viechern, den Weinbergen, dem Obst- und Gemüsegarten funktionierte.
Auch heute war Isabelle guten Mutes, denn in einer der Dachkammern hatte sie eine Art Wachsplane gefunden. Beim Auseinanderfalten war der Staub nur so herausgerieselt, ein muffiger Geruch war emporgestiegen, doch Löcher oder Risse hatte sie nirgendwo gefunden. Früher, in Berlin, hätte sie so etwas angeekelt mit dem Fuß weggeschoben. Oder sie hätte das Personal dafür gerügt, solch alten Kram herumliegen zu lassen. Heute war die Plane ein Schatz für sie.
Fragend hielt sie nun dem Verwalter den
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