Die Chaos Queen
ein Taxi.«
Während ich auf meinen Vater wartete, verschloss ich Türen und Fenster. Nicht dass bei Lowe viel zu stehlen gewesen wäre. Die Einrichtung sah aus, als habe er sich auf der örtlichen Müllhalde eingedeckt. Doch das alles gehörte ihm; ich fühlte mich verpflichtet, mich professionell zu verhalten. Darüber hätte ich besser mal nachgedacht, bevor ich ihm in den Fuß schoss.
Ich rief Ranger an. »Ich hab gerade einem in den Fuß geschossen.«
»Hat er es verdient?«
»Das ist eine ziemlich vertrackte Frage. Zuerst fand ich schon, aber jetzt bin ich mir nicht mehr ganz so sicher.«
»Hast du die Beweise vernichtet? Gab es Zeugen? Hast du eine gute Ausrede?«
»Ja, nein und ja.«
»Alles klar«, meinte Ranger. »Sonst noch was?«
»Nein, das war’s.«
»Noch ein kleiner Tipp: Halt dich von Doughnuts fern.«
Dann legte er auf.
Na, super!
Zwanzig Minuten später hielt mein Vater am Straßenrand.
»Ich dachte, du arbeitest in der Knopffabrik«, sagte er.
Der Körper meines Vaters erschien jeden Abend am Esstisch. Mit dem Kopf war er meistens woanders. Ich nehme an, das war der Schlüssel zum Erfolg seiner Ehe. Zusammen mit der Übereinkunft, dass mein Vater das Geld reinholte und meine Mutter Hackbraten machte, und dass diese schlichte Arbeitsteilung nie infrage gestellt wurde. In mancher Hinsicht war das Leben in Burg einfach.
»Das mit der Knopffabrik hat nicht geklappt«, erklärte ich meinem Vater. »Ich hab Lula bei einer Festnahme geholfen und bin hier gelandet.«
»Du bist genau wie Onkel Peppy. Der hatte auch eine Stelle nach der anderen. Und der war auch nicht dumm. Hatte bloß einfach keine Ahnung, was er wollte. Hatte keine Vorlieben, verstehst du? Und scheinbar keine besonderen Fähigkeiten. So wie ich zum Beispiel. Ich war gut im Postsortieren. Klar, das hört sich nicht besonders toll an, aber immerhin konnte ich das gut. Dass ich von einer Maschine ersetzt wurde, heißt nicht, dass ich es nicht gut konnte. Dein Onkel Peppy hat erst mit zweiundvierzig rausgefunden, dass er gut Teppiche knüpfen kann.«
»Onkel Peppy sitzt wegen Brandstiftung in Rahway.«
»Ja, aber da knüpft er Teppiche. Wenn er rauskommt, kann er gutes Geld mit Läufern verdienen. Die solltest du mal sehen! Er hat einen gemacht, da ist ein Tigerkopf drauf. Wenn du mich fragst, ist er besser in Teppichknüpfen als in Brandstiftung. Da hatte er den Dreh letztlich nie ganz raus. Gut, er hat ein paar nette Brände gelegt, aber er hatte nicht dieses Talent dafür wie Sol Razzi. Sol konnte Brände legen, da wusste keiner, wo sie herkamen. Das nenne ich Brandstiftung!«
New Jersey ist eine der wenigen Gegenden, wo Brandstifter als Beruf durchgeht.
»Wo soll’s denn hingehen?«, wollte mein Vater wissen.
»Was macht Mama zum Abendessen?«
»Spaghetti mit Fleischklopsen. Und in der Küche habe ich einen Schokoladenkuchen gesehen.«
»Dann komme ich mit nach Hause.«
Vor dem Haus meiner Eltern parkten zwei Wagen. Einer gehörte meiner Schwester Valerie. Der andere einem Freund von mir, der meiner Mutter bei der Planung von Valeries Hochzeit half. Mein Vater blieb in der Einfahrt stehen und musterte die beiden Wagen mit zusammengekniffenen Augen.
»Wenn du sie rammst, steigt deine Versicherungsprämie«, mahnte ich ihn.
Er seufzte, fuhr nur ein bisschen weiter vor und stellte den Motor ab. Wenn mein Vater die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte ausblies, wünschte er sich still und leise, dass meine Großmutter weit weggehen würde, vermutete ich. Er wünschte meine Schwester in einen anderen Bundesstaat und meinen Freund Sally Sweet, genannt der Hochzeitsplaner, in ein Paralleluniversum. Keine Ahnung, was er am liebsten mit mir angestellt hätte. Vielleicht bei einer Verhaftung mit dabei sein. Versteh mich keiner falsch! Mein Vater ist kein schlechter Mensch. Er würde nicht wollen, dass meine Großmutter leidet, aber er wäre wahrscheinlich auch nicht allzu geknickt, wenn sie unerwartet im Schlaf dahinscheiden würde. Ich persönlich finde Grandma zum Schießen. Aber ich wohne ja auch nicht mit ihr zusammen.
In ihrer gesamten Schulzeit sah meine Schwester Valerie aus wie die Jungfrau Maria: glattes braunes Haar, eine Haut wie Alabaster, ein glückseliges Lächeln. Und ihr Charakter war ebenso: heiter und gelassen. Eine kleine Miss Perfekt. Das genaue Gegenteil ihrer Schwester Stephanie, die war nämlich Miss Chaos. Valerie gehörte zu den besten Absolventen ihres Colleges. Sie heiratete einen Mister
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