Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
Strecken, die wir am Tag zurücklegen konnten, wurden immer kürzer. Zu den Strapazen, die das Gelände ihnen auferlegte, kam noch die fehlende Orientierung hinzu. Mehr als einmal überwanden sie einen unwegsamen Hügel nur um festzustellen, dass ihnen dahinter ein Tal voller Geröllblöcke den Weg versperrte und sie einen Umweg gehen mussten, um weiter nach Süden zu kommen.
Und immer häufiger schneite es. Kalte Feuchtigkeit drang von allen Seiten auf sie ein. Von oben und von unten. Erich dachte an Amaril, Kern und auch an an Brogu. Mit seinem Dämon wäre es ein leichtes gewesen ein wärmendes Feuer zu entzünden und die steif gefrorenen Kleidungsstücke zu trocknen.
Die ersten Tage unserer Reise, kurz nachdem wir Hornhus verlassen hatten, waren ihm anfangs hart und entbehrungsreich vorgekommen, aber wenn sich Erich jetzt daran erinnerte, konnte er darüber nur lachen. Im Vergleich zu ihrer augenblicklichen Lage war das ein Spaziergang gewesen.
Drei weitere Tage schleppten sie sich durch einen Irrgarten aus umgestürzten Bäumen, Tälern voller Geröll und zähem Dickicht, bis es auch Erich klar wurde, dass es so nicht weitergehen konnte. Der Halken versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends und auch Sarn musste seinen ganzen Willen zusammennehmen, um auf den Beinen zu bleiben. Erich fragte nicht, was die beiden erfahreneren Männer vorhatten. Es gab sowieso nur eine einzige Möglichkeit: Wir mussten weitergehen und darauf hoffen bald aus dem Wald herauszukommen oder eine Gegend zu finden, in der wir Schutz vor der Witterung und Wild zum jagen finden konnten. Aber beides schien es in diesen verfluchten Wäldern nicht zu geben. Der Halken, der den Hürnin die meiste Zeit einen Weg bahnte, behauptete immer noch hoffnungsvoll, dass es bald besser werden würde weil sie den Worten der Ahnen folgten, aber es sah alles andere als vielversprechend aus. Wenn es so weiterging, würden sie alle bald den Ahnen ins Grab folgen, denn deren Worte waren nichts, was man essen konnte, das musste selbst der Halken zugeben.
Ab und zu stießen wir im frischen Schnee auf Spuren von Hasen, Mäusen oder Vögeln, die wir aber nie selbst zu Gesicht bekamen. Einmal entdeckte Erich auch eine Spur, die von einer Raubkatze stammen musste, aber da der Halken sie nur kommentarlos musterte, sagte auch Erich nichts.
Und dann betraten wir das Aschetal. Schon als wir den letzten Hügel überquerten, der uns davon trennte, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Wald, wie wir ihn gewohnt waren, nun endete und etwas anderes begann. Als erste Vorboten des Aschetals ragten verkohlte Baumstämme in den Himmel und als wir ins Tal hinunterstiegen, konnten wir erkennen, dass zwar neues Leben zwischen die geborstenen Stämme zurückgekehrt war, aber keiner der jungen Bäume älter sein konnte als ein Dutzend Jahre. Im Vergleich dazu machte sich die schroff aufragende Brandruine am Ende eines Höhenrückens vor uns um so beeindruckender aus.
Geschwärzt und versengt stach der Bergfried aus dem Schnee hervor, der vom Wind wie ein geisterhafter Strom durch das Tal getrieben wurde. Von den Wehrmauern standen nur klägliche Reste und was das Feuer überstanden hatte, war in den darauf folgenden Jahren Wind und Wetter zum Opfer gefallen. Lediglich der massige Turm in der Mitte der Burg besaß ein Dach und zu unserer Verblüffung sah es ganz neu aus.
„Lasst uns hier verschwinden.“, flüsterte Sarn. „Das gefällt mir überhaupt nicht.“
Doch in diesem Moment verließen den Halken seine verbliebenen Kräfte und er brach eine Wolke aus Schnee aufwirbelnd zusammen.
Sarn fluchte. Er kniete neben dem Ork nieder und versuchte ihn ohne Erfolg wachzurütteln. Mit besorgtem Blick schaute er zur Burgruine hinüber und dann zu Erich.
„ Wenn er hier liegen bleibt, wird er sterben.“, murmelte er mit einem Tonfall, der Erich sagte, dass er keine Antwort von ihm erwartete.
„ Ich muss ihn zur Burg schaffen. Dort hat er vielleicht eine Chance. Versteck dich auf dem Hügel. Wenn uns irgendwas zustößt, verschwinde und versuch dich allein nach Drachall durchzuschlagen. Du hast viel gelernt, du kannst es schaffen.“
Sarn klang nicht besonders überzeugend und Erich zuckte zusammen, als sein Lehrmeister zum Abschied seine Arme um ihn schlang. Seine Hände waren kalt wie Eis.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen ließ Sarn ihn los und wandte sich von ihm ab. Keuchend legte er sich einen der Arme
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