Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Jahren ein Ende.«
»Wir treiben doch jetzt Handel mit Anhard«, sagte Sorren. Sie berührte ihren Arm. »In den Feldern haben sie mich immer geneckt und gesagt, ich hätte anhardisches Blut in den Adern.«
»Das könnte der Fall sein. Diese Menschen sind hellhäutig. Manchmal. Aber ihre Haut ist meist gelblicher als die deine.«
»Meine Mutter hat auch immer gesagt, daß das nicht stimmt.«
»Dann muß es so sein. Nun – also diese Chroniken stammen aus Tornor. Den Schwarzen Clan gab es ja schon vor zweihundertundfünfzig Jahren, und die Schriftgelehrten im Norden schrieben die Chroniken der verschiedenen Schlachten. Mein Großvater hat ein paar davon in seine Sammlung aufnehmen können.«
Sie schnürte die Lederhülle auf. Sorren beugte sich über den Tisch. Aus irgendeinem Grund hatte sie erwartet, daß die Berichte mit Bildern versehen sein würden, Bilder von Frauen mit Schwertern, von Reitern, Burgen, seltsamen Fabeltieren – wie auf ihren magischen Karten. Sie wurde enttäuscht; auf den gelblichen brüchigen Blättern waren keine Bilder, nur breite Zeilen voll Schrift, die das Blatt auf und ab liefen. Die Tusche war zu Grau verblaßt.
»Kannst du das lesen?« fragte sie.
»Die hier nicht«, sagte Marti. Sie legte jene Blätter beiseite. »Aber das hier kann ich entziffern.« Hier wirkte die Tinte klarer, und die Schriftzeichen standen von links nach rechts auf dem Blatt, so wie es sich gehörte. Sorren fuhr vorsichtig mit dem Zeigefinger über ein Stück gerollter Schrift, ganz sacht, und Staub heftete sich an ihre Fingerspitze, und ein winziges Flöckchen Papier brach unter ihrer Berührung ab und schwebte wie ein Blütenblatt zu Boden.
»Dies ist die Geschichte von Sorren«, sagte Marti und wies auf einen Schriftblock. »Hier, das ist der Name: Sorren.« Sorren starrte die Zeichen an, die ihren eigenen Namen bedeuteten. »Und hier tauchte der Name wieder auf, und immer wieder. Sorren. Sorren.«
»Lies mir die Geschichte.«
Marti beugte sich über das Blatt. »Ich werde dir vorlesen.
Dies ist die Mär von edlem Mut und großen Abenteuern, wie Elin sie kopiert hat, die Schreiberin von Berent, Zweiundzwanzigstem Lord von Tornor Keep, im Jahre des Rates 89, im dritten Wintermond, im siebenten Jahr der Herrschaft des Lord Berent ...« Marti brach ab. »In diesem gleichen Jahr 89 hat der Tanjo den Bann über Kendra-im-Delta verhängt.«
»Oh«, sagte Sorren.
»Dieser Bericht ist die Kopie einer Kopie, die im Jahre 32 von Josen, Schreiber des Morven, Neunzehnter Lord von Tornor Keep, gefertigt wurde. Dann fährt die Schriftkundige fort und erklärt, daß die ältere Handschrift, die anscheinend vom Original kopiert wurde, durch Feuer beschädigt worden ist. Und es begab sich – sie liebt diese Art der Sprache –, daß im vierundzwanzigsten Jahr der Herrschaft des Lord Athor sich ein Kriegsherr erhob aus den Dörfern des Südens, und das Dorf hieß Iste, nahe der Stadt Tezera, und sein Name lautete Col, genannt Col Istor. Getrieben von seinem Hochmut und nicht bedenkend des Volkes im Land, versammelte dieser arge Mann eine Heerschar von Unzufriedenen und Übeltätern um sich und machte sich auf, um sich selbst und seine Gefolgsleute mit Ruhm und Reichtum zu bedecken ... Ach, ich werde dir nicht alles vorlesen, das würde den ganzen Tag dauern. Anscheinend hat Col Istor aus der Gegend um den See Aruna sich ein Heer gesammelt, es nach Norden geführt und die Grenzfesten bekriegt.«
»Aber war das während der Jahre der Kriege?« fragte Sorren.
»Nein, die Zeit war schon vorbei. Arun und Anhard hatten bereits Frieden.«
»Aber warum hat dann Col I ... I ...?«
»Istor.«
»... Col Istor kämpfen wollen?«
»Darüber steht hier nichts«, sagte Marti. »Er war für den Kampf ausgebildet, er hatte im Süden gegen die Asech gekämpft. Vielleicht hat er sich gelangweilt. Er hat drei der Burgen eingenommen. Von den vieren, die es gab. Athor, auf Tornor Keep, hatte eine Tochter, Sorren, und einen Sohn, Errel. Col Istor nahm die beiden zu Gefangenen. Aber sie konnten fliehen – im Winter. Die Geschichte verbreitet sich darüber ganz genüßlich, daß es Winter war. Die Schneewächten waren in dieser Zeit des Jahres hoch wie ein großer Mann, und der Stahl so kalt, daß die Finger an ihm festfroren, so daß ein Mann an seinen Schwertgriff fahren mochte, und wenn er die Hand davon nahm, so war selbige ohne Haut ... Äch! – Dann zogen sie nach Süden und nach Westen, und dann, heißt es in der
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