Die Chroniken der Nebelkriege 3: Die Letzte Flamme
wir haben einen Riesen bezwungen!« Kai grinste trotz seiner Schmerzen. »Ja, haben wir das?«, fuhr ihn Fi an und ihre grünen Katzenaugen blitzten zornig. »Damit du es weißt, mir ist völlig egal, wie du das angestellt hast. Aber wenn du mich noch einmal daran hinderst, dir zu helfen, dann ... dann ...«
Wütend machte sie auf dem Absatz kehrt.
»Ich wollte sie mit der kleinen Flammenwand doch bloß vor einer Dummheit bewahren«, meinte Kai kleinlaut und sah Fi bekümmert nach.
»Ach, und du hingegen warst bloß tapfer?« Ächzend kam Dystariel wieder auf die Beine und entfaltete müde ihre Schwingen. Dann schaute sie besorgt zum westlichen Firmament, an dem bereits die Röte der aufgehenden Sonne zu erahnen war. »Zwischen Dummheit und Tapferkeit liegt nur ein schmaler Grat, Flamme. Maße dir nicht an, Entscheidungen für andere zu fällen. Eine Situation mag noch so aussichtslos erscheinen, doch wenn man liebt, wirklich liebt, dann ist man auch bereit, den Preis dafür zu zahlen. Ich weiß, wovon ich spreche ... Und jetzt entschuldige dich bei der Elfe, aber sag ihr nicht, dass ich dir das geraten habe. Ich suche mir jetzt ein Versteck.« Die Gargyle schnaubte und stapfte, ohne dem Riesen einen weiteren Blick zu schenken, in Richtung Ruine davon. Kai sah ihr ebenso ungläubig wie beschämt nach. War das eben Dystariel gewesen, die zu ihm gesprochen hatte ?
Er dachte, er kannte sie und ihre Geheimnisse.
Er kannte sie offenbar nicht.
Der Stein der Elemente
Kai nahm einen Ast vom Buchenholzstapel, zerbrach ihn und legte ihn zu den anderen Scheiten ihrer Feuerstelle. Umgehend stoben Funken zu der Höhlendecke empor. »Bitte sei etwas vorsichtiger, Kai«, ermahnte ihn Amabilia. Sie stand nicht weit von ihm entfernt auf einem Bündel aus Kleidungsstücken, auf das sie auch Magister Eulertin und Kriwa gebettet hatten. »Wir dürfen nicht riskieren, dass das Gebräu zu sehr aufkocht. Das Feuer muss gleichmäßig brennen. Fi, es ist wohl besser, wenn du das übernimmst.«
Kai machte Fi schuldbewusst Platz und fächerte den aufsteigenden Dunst über dem alten Helm beiseite. Sie hatten ihn aus der Ruine mitgenommen. Nun diente er ihnen als Kochtopf für die Zutaten, die sie auf Anweisung der Däumlingshexe hin gesammelt hatten. Elfenwedel, Bitterwurz, zerstampfte Fliegenpilze und das Mark der Holunderranken blubberten darin und erfüllten die Höhle mit erdigem Geruch. Ob das Gebräu wirklich zu stark aufkochte, vermochte Kai nicht zu sagen. Allerdings war er auch nicht der beste Alchemist. Leider, denn wenn dieser Trank Kriwa und Eulertin nicht aus ihrem Zauberschlaf erwachen ließ, dann war selbst Amabilias Weisheit erschöpft. Über die Folgen wagte Kai sich keine Gedanken zu machen.
Fi warf Kai einen funkelnden Blick zu, rührte den Sud mit einem Stock um und griff zu einigen Blättern, die sie zwischen ihren Händen zerrieb und in das Gebräu streute. Kai kam sich jetzt mehr als nutzlos vor. Und dass ihm Fi noch nicht verziehen hatte, machte die Situation nicht besser. Allerdings war er auch noch nicht dazu gekommen, Dystariels Ratschlag zu befolgen. Bis zum späten Vormittag waren sie damit beschäftigt gewesen, ihre Verletzungen zu behandeln, die Ruine zu durchsuchen und Magister Eulertin und Kriwa -leider erfolglos - mittels Zauberei zum Erwachen zu bringen. Auch Haragius Äschengrund, der irgendwann überraschend bei der alten Kerkerburg aufgetaucht war, hatte keinen Rat gewusst, wie man Eulertin helfen konnte. Er war die ganze Nacht auf seinem unsichtbaren Wunderross ohne Pause durchgeritten und beim Anblick des gefesselten Riesen wie erwartet in Verzückungslaute ausgebrochen. Doch dummerweise erholte sich Thraak recht schnell von der Wirkung der Schlafranken. Stunde um Stunde musste Amabilia mittels erschöpfender Zauberrituale immer mehr Ranken und Wurzeln heraufbeschwören, um den wütenden Riesen am Boden zu halten. So lange, bis sie schließlich entschieden hatten, die Flucht anzutreten - und zwar bevor es Thraak noch gelang, sich an ihnen zu rächen.
Schließlich war es ausgerechnet Haragius Äschengrund geglückt, eine verlassene Bärenhöhle zu finden, die sie seitdem als Versteck und Ruhelager nutzten. Er war auch der Einzige, der sich noch immer äußerst zuversichtlich gab und jeden Augenblick fest damit rechnete, dass der Däumlingszauberer und die Möwe erwachten. Kai gestand sich ein, dass es im Moment wohl besser war, das Schicksal Eulertins und Kriwas den beiden Frauen zu überlassen.
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