Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
ihr zu lange in seiner Welt, wird er euch nicht mehr gehen lassen. Dann seid ihr ein Teil von ihm geworden, und bald schon werdet ihr sein wie er.«
»Ich wurde in den Schatten geboren«, entgegnete Noemi beharrlich. »Und … «
»Und du wirst nicht in ihnen sterben.«
Avartos wäre beinahe zusammengefahren, als er feststellte, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Rasch trat er vor. »Du bist der Sohn des Teufels«, sagte er zu Nando. »Doch du kennst die Macht der Schatten noch nicht, da hat Noemi vollkommen recht, und es wäre mehr als riskant, die Vernichtung der einzigen Waffe gegen Luzifer in einem magischen Spiegel aufs Spiel zu setzen.«
Nando presste die Zähne zusammen, Avartos konnte sehen, dass er nach einer Entgegnung suchte und keine fand.
»Und du«, fuhr er an Noemi gewandt fort, »magst eine halbe Dämonin sein, eine Kriegerin der Schatten und Teil der Garde Bantoryns. Aber dieser Spiegel ist nicht für das Herz eines Menschen bestimmt. Seine Finsternis ist zu tief, sein Licht zu grell. Ein Engel meines Ranges jedoch weiß beidem zu begegnen, noch dazu, wenn er seit Jahrhunderten kaum etwas anderes getan hat. Ich erlaubte dir, Schattenmagie mit einem meiner Zauber zu wirken, ich ließ mich von dir an einen Ort wie diesen führen, und ich schätze deine Kraft als Kind der Schatten, das du bist – aber hier gibt es keine Diskussion. Du setzt keinen Schritt in diesen Spiegel. Ich werde gehen.«
Er hatte ruhig gesprochen, und doch hatte er ihn selbst gehört, diesen dunklen Ton in seiner Stimme, der ihr die übliche Kälte nahm und seine Worte beinahe sanft machte. Noemis Trotz ließ das Grün ihrer Augen auflodern, aber weit hinten in ihrem Blick lag etwas anderes, das er nicht deuten konnte. Und gerade als er schon meinte, ein spöttisches Lachen aus ihrer Kehle zu hören, nickte sie und wandte sich ab.
»Mich brauchst du nicht zu überzeugen«, sagte Kaya schnell. »Ich hätte diese Aufgabe natürlich mit links erledigt, aber ich verstehe, dass ein Krieger wie du auch mal zum Zug kommen will, also … Nur zu!« Sie nickte eifrig und deutete auf den Spiegel. »Er gehört dir!«
»Krieger des Lichts«, raunte Kherisar. »Niemand kann sagen, welches Herz auf dem Grund dieser Erinnerung liegt, doch ich fühle seinen Ruf bis tief hinein in die Dunkelheit, die mich umgibt. Halte die Augen offen in den Schatten, verschließe dich nicht vor ihnen. Und vielleicht wirst du ihn finden, den Funken, der Licht in euer Dunkel bringt.«
Sie trat vom Spiegel zurück, und als Avartos auf das flirrende Bild zuging, spürte er Nandos Blick auf sich ruhen. Noemi hingegen sah ihn nicht an, aber ihre Unruhe umhüllte ihn für einen Moment wie ein wärmender Luftzug. Dann berührte er den Spiegel. Die Wellen schlossen sich um seine Finger, und als er eintrat, schien es ihm, als flöge er durch Tag und Nacht, so rasch wechselte sich das Spiel aus Licht und Schatten ab. Dann drang Schlachtengebrüll an sein Ohr, und kaum dass er die Augen öffnete, umfing ihn das Zwielicht Aeresons.
In blutroter Glut ragten die halb niedergerissenen Mauern in den Nachthimmel, zerfetzte Wolken jagten am Mond vorüber, der seinen Schein auf die Ruine warf, in der die besten Krieger des Lichts gegen die Schergen Askramars kämpften. Seit er denken konnte, hatte Avartos unzählige Geschichten von dieser Schlacht gehört, und als junger Engel nächtelang die Lieder auswendig gelernt, die über ihre Helden gesungen wurden. Und doch war es nun, da er ihre Stimmen um sich donnern hörte, da er den Sturm ihrer Schwingen auf seiner Haut fühlte und den Duft ihres Blutes roch, uralt und schwarz wie die Nacht, als erlebte er alles zum ersten Mal.
Silbern waren die Rüstungen der Engel, und ihre Waffen funkelten im Schein der Flammen, als sie sich den Schergen des Hexenmeisters entgegenstellten. Die meisten waren einst Menschen gewesen, noch immer erahnte man dies anhand ihrer Gestalt, doch die Schwarze Macht Askramars hatte sie in hautlose Untote verwandelt und ihnen vereinzelt die Gliedmaßen von Tieren gegeben, sodass sich eine Schauerversion alter Fabelwesen auf die Engel stürzte. Einhörner mit zerfetzten Flanken, Menschen, die auf riesigen Spinnenbeinen liefen, und Chimären aller Art schlugen mit Macht auf die Engel ein, und diese setzten die Kälte ihres Volkes dagegen, sodass Licht und Schatten ineinanderbarsten wie die Wellen eines sturmgepeitschten Meeres. Es war ein Schauspiel unermesslicher Gewalt und in seiner
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