Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
Erscheinen in einem Traum ihn dazu getrieben hatte, Frau und Heim zu verlassen, und er war nur noch in der Lage, hinter seiner Führerin herzuschlurfen und aufzupassen, dass er zumindest nicht stolperte. Und ausrechnet er sollte diesem Zauberer das Leben retten? Er schüttelte den Kopf und verfluchte seine Dummheit. Er konnte das nicht, nicht allein, und es war auch vollkommen unmöglich, jemanden vom Netzwerk um Hilfe zu bitten. Sie taten bereits alles, was sie konnten, denn für alle Gildriiten, besonders die in Bragor- Nal, war es überlebensnotwendig, ihre Abstammung und ihre Mitgliedschaft im Netzwerk zu verheimlichen. »Wir haben alle eine Giftpille in unserer Kleidung eingenäht«, hatte eine ungewöhnlich gesprächige Frau ihm vor einer Woche erzählt, »falls wir gefangen genommen werden. Es heißt, die Sicherheitskräfte des Herrschers sind deshalb so gute Folterer, weil es ihnen so viel Spaß macht. Wenn einer von uns gefangen wird, könnte das den Tod für uns alle bedeuten.« Es war eine Sache, Gwilym durch das Nal zu helfen, aber eine ganz andere, das Leben des Zauberers zu retten. Nein, das war allein seine Aufgabe. Und nicht zum ersten Mal war Gwilym wütend auf sich selbst, weil er auch nur im Entferntesten geglaubt hatte, dass ihm dies gelingen könnte.
Er war immer noch damit beschäftigt, sich selbst zu tadeln, und hatte den Blick auf den Boden gerichtet, als die Frau schließlich stehen blieb. Er wäre beinahe mit ihr zusammengestoßen. Er bemerkte den schlanken jungen Mann, der mitten im Gang vor ihnen stand, erst, als der Fremde etwas sagte.
»Ihr seid spät dran«, erklärte der Mann leise, den Blick auf Gwilyms Führerin gerichtet.
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Aber es ging nicht anders.« Sie wies mit einer knappen Kopfbewegung auf Gwilym, als wollte sie andeuten, dass es sein Fehler war. Und das musste Gwilym nach einem Moment des Nachdenkens akzeptieren - die Frau war schon abmarschbereit gewesen, als er aufgewacht war.
Der Mann wandte sich Gwilym zu. »Komm, Steinträger. Ich bringe dich zum nächsten Treffpunkt.«
»Er hat es eilig«, sagte die Frau, als Gwilym an ihr vorbei auf seinen neuen Führer zuging. »Und er will heute Abend auf der Straße sein.«
Der Mann warf Gwilym einen scharfen Blick zu. »Warum?« »Weil es so sein soll«, antwortete Gwilym und lächelte innerlich. Seht ihr, ich kann genauso rätselhaft sein wie ihr. »Wo?«, fragte der neue Führer.
Gwilym warf der Frau einen verlegenen Blick zu. »Im Südosten des Nal. Genauer weiß ich das nicht.«
»Das wäre der Einundzwanzigste Bezirk«, sagte der Mann, als dächte er laut. »Wir sind hier im Zwanzigsten, also sollte das kein großes Problem sein.« Wieder warf er Gwilym einen Blick zu. »Ich kann uns einen Transporter organisieren, aber du musst hier eine Weile warten.«
Gwilym nickte. »In Ordnung.«
Der Mann verschwand einen schmalen Gang entlang, der Gwilym zuvor nicht einmal aufgefallen war, und Gwilym blieb mit der Frau, die ihn hierher geführt hatte, allein. Es gab keine Sitzgelegenheit, also blieben die beiden einfach in dem dunklen Gang stehen, schweigend und unruhig, und warteten darauf, dass der Mann zurückkehrte. Die Zeit verging nur langsam, aber der Mann kam recht bald zurück.
»Ich habe einen Transporter«, erklärte er, als er, einen dunklen, nietenbesetzten Mantel über dem Arm, wieder in den Gang zurückkam. »Er steht oben auf der Straße. Bist du bereit?«
»Ja.«
»Gut«, sagte der Mann und reichte Gwilym den Mantel. »Zieh das hier an, und decke deinen Stein zu.«
Der Träger des Steins zog den Mantel an, steckte seinen Stab seitlich darunter und griff nach seinem Rucksack. Der junge Mann schlüpfte wieder in den schmalen Gang und winkte Gwilym, ihm zu folgen.
»Leb wohl«, sagte Gwilym zu der Frau. »Und danke.«
Sie nickte, dann drehte sie sich um und ging wieder den Tunnel entlang, durch den sie und Gwilym gekommen waren.
»Schnell, Steinträger!«, flüsterte der Mann. »Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
Gwilym eilte hinter dem Mann her und folgte ihm eine Treppe hinauf. Der Führer wartete oben auf ihn, die Hand auf dem Griff einer kleinen Tür. Er sah Gwilym forschend an, als wollte er sich überzeugen, dass der Steinträger keine Aufmerksamkeit erregen würde. Dann schob er die Tür auf. Nachdem er so lange Zeit unterirdisch verbracht hatte, war Gwilym nicht auf das helle Tageslicht gefasst, in das sie nun hinauskamen. Seine Augen brauchten einige Zeit, um
Weitere Kostenlose Bücher