Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
eine
Messerklinge. »Ich bin froh, dass wir nicht mehr davonlaufen«, sagte er.
Jibb erwiderte das Grinsen. »Ich auch. Wir waren ...« Er erstarrte, und sein Herz begann plötzlich so heftig zu schlagen, dass er tatsächlich spüren konnte, wie es sich bewegte. Premel rührte sich ebenfalls nicht vom Fleck, obwohl er die Augen weit aufgerissen hatte. Das Geräusch war so leise gewesen, dass es Jibb noch vor drei Wochen vermutlich entgangen wäre. Aber nun war er so auf die Tunnel eingestimmt, dass er genau wusste, was er da gehört hatte: Schritte, und zwar ganz in der Nähe. Er war ziemlich sicher, dass sie aus der linken Abzweigung gekommen waren. »Ich dachte, ihr hättet alles überprüft!« Jibb bewegte nur leicht die Lippen, aber sein Zorn zeichnete sich deutlich genug in seiner Miene ab.
Premel zuckte die Achseln und schüttelte verwirrt den Kopf.
Sie zogen die Werfer, und die fünf Männer hinter Premel folgten ihrem Beispiel. Keiner gab einen Laut von sich. »Deine Leute sind gut ausgebildet«, erklang eine vertraute, aber vollkommen unerwartete Stimme aus dem Tunnel und hallte von den Wänden wider. »Nicht, dass mich das überrascht. Aber ich frage mich wirklich, wie du es zulassen konntest, dass wir so nahe herankommen. Du könntest inzwischen tot sein.«
Jibb setzte dazu an, etwas zu sagen, aber er brachte kein Wort heraus. Tatsächlich befürchtete er einen Augenblick, vor Freude in Tränen auszubrechen.
Einen Augenblick später kam Melyor aus dem Schatten. Das bernsteinfarbene Haar fiel ihr auf die Schultern, und sie hatte das makellose Gesicht zu einem schiefen Grinsen verzogen. Der Zauberer befand sich hinter ihr und verbarg den Stein auf seinem Stab unter einer Falte seines Umhangs. Sein dunkler Falke hockte auf seiner Schulter und spähte misstrauisch zu Jibb und den anderen Männern hin. Jibb ging auf Melyor zu und wollte sie umarmen. Aber dann sah er etwas, was ihn innehalten ließ, und er schloss aus dem plötzlichen Flüstern der anderen Männer, dass sie es ebenfalls bemerkt hatten. Jibb sah Melyor einen Moment lang ins Auge, aber ihr Blick war gelassen, und gleich darauf schaute er unwillkürlich wieder zu dem Ding, das sie in der Hand hielt: ein uralter Holzstab, auf dem ein leuchtend roter Stein befestigt war. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie ihn herhatte.
»Der Steinträger?«, fragte er und sah ihr wieder in die Augen.
»In Oerella-Nal umgebracht«, antwortete sie tonlos.
»Aber war sein Stein nicht...«
»Es ist jetzt mein Stein«, sagte sie, als erklärte das, wieso der Kristall rot und nicht mehr braun war.
Jibb schluckte. Es fiel ihm immer noch schwer zu akzeptieren, dass sie Gildriitin war. Und seine Männer hatten, wie ihm nun einfiel, von all dem überhaupt nichts geahnt. Premel und die anderen beäugten Melyor mit unterschiedlichen Graden von Ehrfurcht, Angst und Abscheu.
»Unser Nal-Lord ist wieder da!«, verkündete Jibb demonstrativ, schob seine eigenen Zweifel beiseite und sah von einem Mann zum anderen. »Wir arbeiten jetzt wieder für Melyor i Lakin!«
Keiner der Männer sagte ein Wort, bis Premel schließlich unsicher einwandte: »Aber sieh dir das doch an. Sie ist eine Gildriitin!«
Noch während Jibb nach einer Antwort suchte, kam Melyor auf ihn zu und drückte sanft seinen Arm.
»Ja, Premel«, erklärte sie dann vollkommen sachlich, »ich bin eine Gildriitin. Das war ich schon immer, auch als ich noch dein Nal-Lord war. Und nun habe ich diesen Stein, was bedeutet, dass mein Titel Steinträgerin lautet.«
»Aber ... aber das hast du uns nie gesagt!«, stieß der Gesetzesbrecher hervor.
»Es ging euch auch nichts an«, fuhr sie im selben Ton fort. »Ich hatte entschieden, es für mich zu behalten, ebenso, wie ich jetzt entschieden habe, es öffentlich zu machen.«
»Und es ändert auch überhaupt nichts!«, warf Jibb hitzig ein. »Sie ist noch derselbe Mensch, und wir arbeiten immer noch für sie. Und jeder, der sich weigert, bekommt es mit mir zu tun!«
Melyor sah ihn an und lächelte traurig. Jibb fand, dass sie noch nie so schön ausgesehen hatte wie jetzt. »Ich fürchte, du hast Unrecht, mein Freund«, sagte sie leise. »Ich bin nicht mehr derselbe Mensch. Die Tatsache, dass ich diesen Stab habe, verändert viel. Gildriiten sind in diesem Land seit hunderten von Jahren verfolgt worden. Du kannst nicht erwarten, dass sich so etwas über Nacht ändert.« Sie sah Premel und die anderen an. »Ich brauche unbedingt eure Hilfe, aber ich
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