Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
gleichzeitig faszinierend, beeindruckend und beängstigend. Und dennoch beunruhigte den Magier nicht so sehr, was er sah, sondern mehr die Tatsache, dass man ihm gestattete, es zu sehen. »Warum zeigst du mir das alles?«, fragte er Cedrych schließlich. »Aus allem, was ich bisher über Lon-Ser erfahren habe, kann ich nur schließen, dass ihr euch gewaltig anstrengt, um die Geheimnisse hinter all diesen Dingen, die ihr herstellt, zu bewahren. Und dennoch zeigst du mir, was nach deiner Aussage der wichtigste Teil von Bragor-Nal ist. Das verstehe ich nicht.«
Cedrych zuckte die Achseln. »Du bist mein Gast«, sagte er entwaffnend. »Wenn ich dein Land besuche, erwarte ich auch, dass du mir vorführst, was es dort Großartiges gibt.« »Nein«, erwiderte Orris kopfschüttelnd. »Ich glaube dir nicht. Dahinter steckt noch viel mehr.«
Das freundliche Lächeln des Oberlords verschwand, und sein Blick wurde härter. »Warum bist du hier? Was führt dich nach Bragor-Nal?«
Weder Orris noch Cedrych hatten sich geregt, aber der Falkenmagier fühlte sich plötzlich, als hätten sie die Klingen gezogen und würden in Kampfstellung umeinander herumtänzeln. Er spürte, dass Melyor sie beobachtete und dabei den Atem anhielt. Selbst Gwilym schien intensiv zuzuschauen, obwohl Orris wusste, dass der Steinträger kein Wort von dem verstand, was hier gesprochen wurde. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, fragte Orris schließlich.
»Überhaupt nichts. Und alles. Bist du als Friedensbotschafter oder als Eroberer gekommen?«
Orris lachte. »Als Eroberer?«, fragte er ungläubig »Ich stehe allein gegen ein Land, das über Werkzeuge und Waffen verfügt, die ich nicht einmal begreifen kann, und in dem mehr Menschen leben, als ich mir je vorstellen könnte. Und du fragst mich, ob ich ein Eroberer bin?«
»Du magst ein einzelner Mann sein, Zauberer, aber ich habe gesehen, was du tun kannst, zusammen mit deinem Vogel.« »Gesehen?«, fragte Orris misstrauisch. »Was hast du gesehen?«
Cedrych holte zwei Stücke Papier aus der Tasche und reichte sie Orris. Es schienen Miniaturgemälde zu sein, obwohl sie viel klarer und genauer waren als jedes Kunstwerk, das der Magier je gesehen hatte. Und sie zeigten so grauenhafte Dinge, dass Orris nur einmal kurz hinschaute, bevor er sie dem kahlköpfigen Mann zurückreichte.
»Diese Bilder zeigen, was von den beiden Männern übrig blieb, die du im Einundzwanzigsten Bezirk getötet hast«, sagte Cedrych anklagend. »Das ist doch sicher nicht das Werk eines Mannes, der Frieden sucht.«
»Sie haben mich angegriffen«, entgegnete Orris. »Ich glaube dir, aber darum geht es nicht. Du sagst, du könntest die Dinge, die wir hier herstellen, nicht begreifen. Nun, wir wissen noch weniger über deine Macht.«
Orris bezweifelte, dass das der Wahrheit entsprach, aber er sagte nichts dazu.
»Um deine vorherige Frage zu beantworten«, fuhr Cedrych fort, »vielleicht zeige ich dir diese Dinge, damit du es als eine Geste des Vertrauens betrachtest und mir deinerseits von der Magie der Kinder Amarids erzählst.«
Orris warf Melyor einen scharfen Blick zu. Zuvor hatte sie so getan, als hätte sie nie von Amarid gehört. Aber wenn Cedrych vom Ersten Magier wusste, würde sie dann nicht auch Bescheid wissen? Orris erkannte die Antwort deutlich an der Art, wie sie den Blick abwandte und blass wurde. Und Cedrych sprach von Vertrauen?
»Mag sein«, meinte Orris kühl. »Was immer du vorhattest, ich habe genug gesehen. Gehen wir irgendwohin, wo wir uns unterhalten können.«
Als sie zu dem Gebäude zurückkehrten, vor dem Orris Cedrych kennen gelernt hatte, wurde es bereits dunkel. Diesmal blieben die Transporter allerdings nicht vor dem Gebäude stehen, sondern nahmen eine schmale Straße in eine Art Keller, in dem Dutzende weiterer Transporter standen. Sobald ihr Fahrzeug zum Stehen kam, näherten sich mehrere Gardisten und öffneten die Türen. Als Orris den Transporter verließ, Anizir auf seinem Arm und den Stab mit dem leuchtenden Kristall in den Händen, wich der Mann, der ihm am nächsten stand, mit weit aufgerissenen Augen zurück.
Cedrych gab einen Befehl in der Sprache von Lon-Ser, und der Mann zuckte zusammen und lief dunkelrot an. »Hier entlang«, rief der Oberlord und zeigte auf eine kleine Kammer. Eskortiert von zwei Wachen betraten er, Melyor, Gwilym und Orris den Raum, der größer wirkte, als er tatsächlich war, weil die Rückwand aus einem Spiegel bestand. Die Seitenwände waren
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