Die Chronistin
bestimmt!«
»Ihr seid grausam und herzlos! Oh, wie sehr ich Gott danke, dass ich nicht den Fehler beging, Euch damals zum Weib zu nehmen. Ich hab’s Euch nie sagen wollen, aber als Ihr Lübeck verlassen habt und mir Eure Heilkunst fehlte, so fragte ich mich manches Mal, ob es nicht besser gewesen wäre... Doch Gott hat’s verhütet – und gewiss wusste der weise Weltenrichter, warum Er das tat.«
Er wandte sich ab, er wollte gehen. Es stieg ihr das Bild auf, als er sie damals fortgeschickt hatte, wissend, dass sie in die Hände der grausamen Vettern fallen würde. Er hatte ihr in einer Stunde der Not nicht geholfen, so wenig wie Frère Guérin es später tat – den eigenen Ängsten ergeben, die eigene Welt kittend.
»Halt!«, hörte sie sich brüllen. »So sprecht Ihr nicht mit mir! Ihr solltet meine Vergebung erflehen, anstatt mich anzuklagen!«
Sie lief ihm nach, rutschte auf dem bleichen Laub aus und fiel mit rudernden Armen schmerzhaft auf den Steiß. Prompt fühlte sie die Kälte in alle Knochen steigen, als wolle jene sie auf dem Boden festeisen und nicht wieder von dort befreien. Kein Fleckchen ihres Leibes wurde davon verschont – und kein Fleckchen ihrer Seele von jener bissigen, schmerzenden, ausgehungerten Enttäuschung.
»Halt!«, kreischte sie.
Arnulf blieb nicht stehen.
»Gott möge Eurer verkommenen Seele beistehen, Ragnhild von Eistersheim!«, murrte er lediglich über die Schultern.
Da hieb sie eine Hand in den Dreck, erkrallte davon so viel, wie der gefrorene Boden hergab, und warf es auf den abgewandten Rücken. Starr blieb er stehen.
»So?«, höhnte sie und füllte die zweite Hand mit Erde. »Ihr habt keine Angst mehr vor Schmutz? Nicht länger seid Ihr gewillt, die Reinigung der Glieder zu erstreben? Sodann ertragt, wenn eine Sünderin nach Euch spuckt!«
Und wieder warf sie einen feuchten Klumpen, diesmal auf seine Brust. Der nächste folgte und traf sein Gesicht, noch ehe er es senken konnte. Sie grub wie irr, dem blinden Rausch ergeben, dem sie zuletzt erlegen war, als sie Guérin um Hilfe angefleht hatte.
»Ihr verkriecht Euch also in ein Kloster, weil Ihr zu faul und wehleidig für den schweren Rückweg seid, und übt Euch in scheinheiliger Ehrfurcht für eine Schwachsinnige. Was seid Ihr nur für ein elender Feigling, Arnulf aus Lübeck!«
Er schmähte sie nicht – sie tat’s an seiner statt. Sie grub und warf und geiferte. Irgendwann sank sie kraftlos nieder und begriff, dass es vergeudet war, sich an ihm zu rächen. Und ebenso nutzlos war es gewesen, so diensteifrig nach Étampes zu reiten, als könnte sie Guérin damit beschämen und ihm gleichsam beweisen, dass sie ein kühles, vernünftiges Weib war, das sich von ihm nie ernsthaft hatte kränken lassen. Ja, die Kränkung hatte sie vor ihm verbergen wollen – zum Preis, dass sie nun im Dreck hocken und daran verzweifeln musste.
Oh, unsinniges Trachten! Oh, unsinnige Welt, wo eine schwachsinnige Frau vor frömmelnden Augen verrottete, anstatt dass man ihr endlich ein stilles, warmes Kloster als Heimstatt schenkte!
Sie schluchzte auf, indessen einer ihrer ritterlichen Begleiter zu ihr trat. Arnulf war längst geflohen.
»Ma Dame, was tut Ihr denn?«, hörte sie ihn entgeistert fragen.
»Es hat keinen Sinn«, murmelte sie schwach und ein letztes Mal aufschluchzend, »es hat keinen Sinn, ihn mit Dreck zu bewerfen... dies ist nicht der Weg, wie ich an ihm Rache nehmen kann.«
»Wovon redet Ihr? Was ist geschehen?«
Sie stand auf und biss die klappernden Zähne aufeinander.
»Soll er nicht glauben, dass er an meiner statt bei Isambour hocken darf, um meinen Verrat an ihr zu ahnden. Soll er nicht denken, dass ihm das Heil gebührt, mir aber Verdammnis. Was er mir an den Kopf warf, wird ihn teuer zu stehen kommen.«
Während des Heimwegs von Étampes und bei ihrem Besuch bei Frère Guérin am nächsten Tag kühlte ihr Zorn aus und legte sich so klamm über ihr Gemüt wie gestern der Raureif über ihre Kleider. Die unruhigen Klagen, Ausflüchte und Anschuldigungen waren in ihrem Kopf verblieben, aber bewegten sich so zäh wie Menschen mit müden Gliedern.
»Es gibt zu viele Einflüsterer, die sich um die Königin scharen«, erklärte sie Frère Guérin und redete sich die kalte Wut zwar warm, aber nicht wieder heiß. »Dieses zänkische Weib Gret, das seit vielen Jahren bei ihr hockt – ich denke doch, es wäre ratsam, ihr strengere Regeln aufzuerlegen. Ein paar Stunden mögen reichen, die bei Isambour zuzubringen
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