Die Chronistin
wünscht Euch zu sehen. Bitte folgt mir!«
Nachdem sie Frère Guérin verlassen hatte, war ihr Trachten gewesen, rasch zu Théodore heimzukehren. Nun schien es tröstlicher, nicht in der glatten Welt der Bücher Zuflucht zu finden, sondern bei einer Wöchnerin, die unglücklicher und mutloser war als sie selbst.
Blanche weinte seit der Geburt des Sohnes, versteckte sich hinter den Vorhängen des Himmelbettes und wollte sich von niemandem trösten lassen. Die Damen flatterten um sie und zeigten dann und wann das Kind, um sie zu besänftigen. Doch erst als sie Sophia sah, erstarb das Schluchzen in ihrer Kehle, und ihr Kopf fiel zurück aufs Laken.
»Lasst mich allein mit ihr!«, befahl sie – und später, an Sophia gewandt, sprach sie: »Ich habe über Eure Worte nachgedacht.«
Die Trostlosigkeit der anderen nahm Sophia die Last der eigenen.
»Haben Eure Blutungen aufgehört?«, fragte sie.
»Was geht mich mein Leib an?«, gab Blanche unwirsch zurück. »Ihr habt mir geraten, ich solle mich nicht umdrehen nach der Wärme meiner Jugend. Ihr habt gesagt, ich solle suchen, woran sich mein Herz hängen ließe.«
»Gewiss«, meinte Sophia ausgelaugt.
Blanche richtete sich auf, schob die Ohrkissen aus Adlerdaunen beiseite und desgleichen die seidige, pelzgefütterte Decke. Obgleich sie so erbärmlich anmutete, so kindlich und blass und geschwächt, erblickte Sophia in ihrem Gesicht Spuren von Sturheit.
»Nur – was soll ich tun?«, erklang es trotzig. »Schon früher habe ich mir gründlich überlegt, woran sich Freude finden ließe. Nun, ich mag, wenn Troubadoure ihre Lieder singen und Geschichten von den alten Zeiten erzählen. Aber genügt das, um ein Leben auszufüllen?«
Sophia zuckte die Schultern.
»Das Schlimme ist«, setzte Blanche fort, »dass ich in dieser Schlangengrube, wo jeder Ränke schmiedet und um den König buhlt, gar nicht erst wage, selbst zu handeln. Als ich nach Frankreich kam, lag es unter dem Kirchenbann – und seitdem hockt das üble Schicksal der unglücklichen Isambour auf meinen Schultern. Bin ich nicht wie sie eine Prinzessin, die um des Krieges willen verschachert wurde? Und kann es mir nicht blühen, verbannt zu werden, erwecke ich mit irgendeiner Regung König Philippes Zorn?«
Sie sprach angestrengt und eifrig. Ihre Erschöpfung und Traurigkeit glichen einem Kleid, das zu eng geworden war und dessen Schnüre sie unwirsch löste.
»Ihr macht Euch die falschen Sorgen«, gab Sophia gleichgültig zurück. »Ich kenne Königin Isambour. Sie ist ohne jede Klugheit und ohne jeden Verstand. Ihr hingegen habt Euch stets wohlerzogen verhalten – und obendrein soeben einen Sohn geboren. Zudem sagt man Eurem Gatten Louis nach, dass er Euch zärtlich zugetan wäre.«
Blanche sank zurück in ihr Kissen. »Louis hat Angst vor seinem Vater«, murmelte sie – und es klang gleichermaßen ängstlich und verächtlich. »Er weiß, wie gefährlich es ist, sich dessen Zorn zuzuziehen.«
»Dann müsst Ihr Euch einer Sache widmen, die ungefährlich ist – weil sie mit Politik nichts zu tun hat«, meinte Sophia.
Sie wollte leichtfertig klingen, von Blanche zwar abgelenkt von eigenem Unbill, jedoch im Letzten unberührt von deren Geschick. Kaum aber, dass sie ihren Rat verkündet hatte, so sah sie in der bleichen Frau mehr als nur ein Spiegelbild unglücklicher Laune.
Momente der Vergangenheit, winzigkleine Stücke der Erinnerung rieselten durch ihre Gedanken und trafen sich nach Belieben. Das Vorhaben, das sie zeugten, war nicht laut, peinvoll und aufwühlend wie die Wut der letzten Tage, sondern wie ein leichtes Spiel.
Sie sah Frère Guérin vor sich, wie er vor langer Zeit behauptet hatte, der Dauphin Louis sei schwach und dass er geführt werden müsse. Desgleichen hörte sie ihn sagen, dass er sich selbst für diese Aufgabe bestimmt sähe – so wie er hinter Philippe im Geheimen wirkte.
Doch nicht er hockte hier am Wochenbett von Louis’ geliebter Gattin, sondern sie, die man um Hilfe beim Gebären gebeten hatte und die Blanche nun riet, wie sie zu leben habe.
Sie glaubt mir, weil die dumpfen, aufdringlichen Weiber des Hofs ihr längst lästig sind – ich ihr hingegen in schwerer Stunde geholfen habe!, durchfuhr es sie. Wie vertrauensselig sie ist! Wie hungrig nach der Gesellschaft eines nüchternen Geistes! Ich kann mich in ihr Herz stehlen und Einfluss über sie gewinnen – und wenn der schwache Louis sein Weib tatsächlich liebt, wie man von ihm erzählt, so auch über ihn. Was
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