Die Chronistin
dass Turniere unter den Kämpfenden nur Hass und Gewalt förderten und unter den Zuschauern Eitelkeit und Prunksucht.
Niemand aber wagte, Einspruch zu erheben. Denn zu dem Turnier hatte das Kronprinzenpaar geladen.
Der blaue Schleier der Dauphine, der mit silbernen Fäden durchzogen war und ihr Haar bedeckte, strahlte von allen Farben am hellsten. So fein war er gewebt, dass die rotblonden Löckchen, die die Hofdamen ihr mit dem Brenneisen geformt hatten, hindurchschimmerten. In gleichem Ton wie der Schleier war das Unterkleid gehalten, nur dass es nicht von Fäden durchzogen, sondern mit silbernen Lilien bestickt war. Das Oberkleid aus blaugrünem Samt war so eng geschnitten, dass es die pflaumengroße Brust hoch trieb. Sorglos über die Schultern gestreift lag ein Umhang aus Schwanenfell, das aus des weißen Vogels weichem Flaum gefertigt war.
Die Dauphine Blanche klatschte laut, und auf den Wangen breiteten sich rote Flecken aus. Der erste Teil des Turniers, ein raues Reiterspiel, bei dem die Gegner in Verbänden gegeneinander antraten und einen Massenkampf nachstellten, war beendet. In der kurzen Pause hatten die Zuschauer kleine Erfrischungen zu sich genommen: warme Pasteten, in Vierteln gebratene Äpfel und Feigen, die mit Kresse und Rosmarin bestreut waren. Nun, da das Kampffeld gereinigt und die Streitkolben beiseite gelegt worden waren, folgte der Zweikampf.
»Seht nur!«, rief Blanche. »Eben bereiten sich die Ritter für das Lanzenstechen vor!«
Sophia betrachtete sie wohlwollend. Sie saß nicht weit von ihr, die Augen mehr auf Blanche gerichtet als auf das Turnier. Das Gewirr von Pferdehufen, Rüstungen und farbigen Bändern langweilte sie, desgleichen das Gejohle der Zuschauer, das spitze Gekreische der Damen und die Ansagen der Herolde, die im Tumult als Einzige die Namen aller Ritter benennen konnten – umso stolzer hingegen stimmte sie die sichtliche Veränderung der einst so kindlichen Thronfolgerin. Gewiss, seit der schweren Geburt vor knapp zwei Jahren hatte sie kaum an Gewicht zugelegt, und die Wangenknochen stachen spitz wie ehedem aus dem ovalen Gesicht. Aber ihre Augen standen nicht mehr wässrig vor Tränen, sondern glänzten ob des lebhaften Interesses.
Nicht alles, worauf es sich richtete, fand Sophias Zustimmung. Blanche war gelehrig, ihr Geist wendig, und sie zeigte manches Mal Freude, bei Büchern zu sitzen. Doch deren farblose Welt sättigte das sprunghafte Gemüt nicht ausreichend. Die Kraft und das Selbstbewusstsein, das Sophia in ihr zu säen begonnen hatte, nützte sie noch lieber dafür, um dem grauen Pariser Hof – vom König vernachlässigt und ohne fürsorgliche Hand einer Königin – Prunk und Glanz zu verleihen.
Bis jetzt waren Vergnügungen selten gewesen, nun aber fanden sie regelmäßig statt: Falkenjagden, an denen auch die Damen teilnahmen, Turniere, in denen sie für ihre Favoriten zitterten, Feste schließlich, bei denen Bärenbezwinger auftraten und unter lautem Gekreisch die mürrischen Untiere mit den Riesenpranken zu allerlei Geschicklichkeitsübungen bewegten.
Jenes Gekreisch klang in Sophias Ohren oft zu schrill und zu aufdringlich. Auch als Blanche eben nach ihrer Hand griff und aufgeregt in ihr Ohr rief: »Wie eigenwillig! Das Wappen von Albert de Tournai ziert nicht nur seinen Schild und die Decke des Pferdes, sondern obendrein stecken kleine Eisenfähnchen damit am Helm«, zuckte sie zusammen und sehnte sich nach ihrer behaglichen, ruhigen Bücherwelt zurück. Doch als sie den Blick über die Ehrenloge gleiten ließ, reckte sie zufrieden die Schultern.
Der König war nicht hier, hatte sich entweder auf einem seiner Jagdschlösser verkrochen oder suchte Jean sans Terre in die Knie zu zwingen. Die Großen und Ranghohen des Landes scharten sich darum nicht um ihn, sondern um das junge Thronfolgerpaar. Von diesen beiden aber war es Blanche, die sich in der Menge abhob und die verzückten Blicke der entfernten Ritter erntete, indessen der Dauphin Louis, der weder den misstrauischen Blick noch die unnahbare Haltung des Königs geerbt hatte, fettleibig und schwerfällig auf seinem Stuhle hockte und mit ergebenem, treuseligem Blick die gute Laune der erfrischten Gattin beglotzte.
Es gab keinen Zweifel, dass Blanche der Mittelpunkt des Hofes war, und ebenso wenig daran, dass Sophia ihr am nächsten stand. Keine der Hofdamen saß dichter bei ihr, keine von ihnen wurde häufiger eingeladen, sie bei einem Anlass wie diesem oder dem Messgang zu begleiten. Wenn
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