Die Chronistin
Sophia durch die Gänge schritt, hörte man aus Respekt zu tuscheln auf, und manch ein Herr vollzog eine Verbeugung, um wenig später mit einem Anliegen, das er eigentlich an den Thronfolger hatte richten wollen, zu ihr zu kommen.
»Seht nur, jetzt hat Albert de Tournai Aufstellung genommen – sein Gegner ist Thibaud de Conches!«, rief Blanche.
Sophia rang sich ein Lächeln ab. Die Freude der Dauphine an den Turnieren deuchte sie plump und kindlich, desgleichen der Geschmack an edler Kleidung, der die einstige Gier nach schwarzen Oliven und Ziegenkäse verbannt hatte.
Doch gerne hätte sie sich selbst niedergekniet, ihr den Rocksaum mit einer edlen Borte zu verzieren, wenn sie für solchen Dienst mit einem Augenblick wie diesem belohnt wurde. Just als die beiden Ritter ihr Pferd auf den vorgeschriebenen Platz dirigierten, fiel ihr Blick auf eine schwarze Gestalt am Rande der Tribüne. Vom Thronfolgerpaar geladen, blieb auch Frère Guérin nichts anderes übrig, als diesem Ruf zu folgen. Doch seine starre Miene, durchbrochen nur vom zuckenden Augenlid, bekundete, dass es mit seiner Laune nicht zum Besten stand und er sich von Wichtigem abgehalten wähnte.
Sophia suchte seinen Blick und hielt ihm trotzig stand. Wiewohl vereint im Urteil über einen lächerlichen, unnützen Zeitvertreib wie diesen und von dem Wunsch, der anstrengenden Geselligkeit zu entfliehen, fühlte sie sich siegreich aus nie verkündeter Fehde hervorgegangen.
Nun seht Ihr!, höhnte sie im Stillen. Ihr hockt wie eine flügellahme Krähe am Rande, indessen ich Blanche lenke, wie ich will! Ihr sucht den Winkelzügen eines verbitterten Königs nachzukriechen, dessen Zeit längst abgelaufen ist und dessen Trachten sich darauf beschränkt, ein wahnsinniges Eheweib loszuwerden, während ich die Zukunft Frankreichs mitbestimme! Mag sein, dass ich nicht Frankreichs größte Gelehrte geworden bin – aber ich bin hier von allen die mächtigste Frau!
Die beiden Ritter hoben die Lanzen, eine jede fast sechs Meter lang und noch schwerer als die Rüstung, die sechzig Pfund wog. Es bedurfte langer Übung und harter Ausbildung, um sie im vollen Galopp waagerecht zu halten.
Ich bin nicht länger Eure Abgesandte, die man zur schwachsinnigen Isambour schicken kann!, wütete Sophia im Stillen weiter. Ha! Um mich für gleichen Dienst noch einmal zu gewinnen, müsstet Ihr vor mir auf die Knie fallen, so wie Ihr’s gemeinhin vor Philippe tut – und selbst dann würde ich Euch den Wunsch abschlagen und Euch dabei ins Gesicht lachen!
Die Ritter näherten sich einander. Thibaud de Conches zielte auf das Kinn seines Gegners, um ihn mit gezieltem Stoß aus dem Sattel zu heben, Albert de Tournai hingegen auf einen anderen Schwachpunkt – auf die Mitte des Schildes, wo vier Nägel anzeigten, dass hier der innen liegende Handgriff angebracht war.
Ich muss mich meiner nicht mehr schämen wie in der Stunde, da Ihr mich verstoßen habt! Ich bin...
Ihre Gedanken wurden von einem lauten Knall unterbrochen. Die Lanze des einen Ritters hatte den anderen vom Pferd gestoßen. Doch sie hatte Albert de Tournai nicht am Kinn getroffen, auf dass der Sieg nur zum Scheine besiegelt, der Gefallene aber unverletzt geblieben wäre, sondern war durch den schmalen Sehschlitz des Helmes gedrungen. Die Spitze hatte das Auge durchbohrt, die hölzerne Halterung war berstend gebrochen, und der Unglückliche lag schreiend vor Schmerzen auf dem Boden, indessen sich das Blut wie eine Fontäne über ihn ergoss.
Sophia war hochgesprungen, noch ehe der Schreckensschrei von Blanche verklungen war und einige ihrer Damen ächzend zu Boden gingen und sich vor dem schrecklichen Anblick in eine Ohnmacht flüchteten. Blanche bewies mehr Haltung, doch die roten Flecken schwanden aus dem Gesicht, und sie zitterte selbst dann noch, als der königliche Gemahl, dessen blassblaue Augen noch starrer aufgerissen waren als zuvor, wärmend den Arm über ihre Schultern legte, wiewohl das gegen jedes höfische Gebot war.
Sophia hatte keine Zeit, auf die beiden zu achten. Sie drängte sich an den Sitzenden vorbei, sprang wendig über manch ausgestrecktes Bein und vermied mit knapper Not, den edlen Hunden auf die Pfoten zu steigen.
Als Blanches Vertraute hatte man selten gewagt, sie in den letzten Monaten um medizinischen Rat zu fragen oder sie zu Kranken zu bitten wie früher. Das letzte Mal, da sie Fieber gesenkt und Schmerzen in den Gliedern gelindert hatte, war beim erkrankten Säugling, den Blanche geboren
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