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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gefällt hatte, aber unverhohlen neugierig, wie dieses Urteil denn ausfallen möge.
    Hinter dem König war der Dauphin erschienen und strahlte gleichfalls, was entweder bedeutete, dass er mit größter Willfährigkeit vergangenes Fehlen gutmachen wollte oder dass er so dumm und schwach war, Philippes Erfolg auch für den seinen zu werten.
    Zögernd kam der König Isambour näher – und schien sich nicht gewiss zu sein, ob er der richtigen Frau entgegenging. Wusste Philippe noch um das Antlitz der Verstoßenen? War es nicht längst ausgemerzt ob Hass und Feindschaft? Hatte er einen Plan, wie er ihr begegnen wollte?
    Er keuchte, seine Stirne glänzte von Schweiß, das Lächeln kühlte aus, wiewohl der restliche Körper hitzig blieb und angespannt.
    Ein Wort, dachte Sophia ängstlich, ein Wort nur, und er könnte Isambour erneut in ein Gefängnis fegen, könnte das Bündnis mit dem Papst wieder brechen, das er nach der ruhmreichen Schlacht von Bouvines nicht mehr braucht.
    Noch ehe freilich der König dies Wort sagen konnte, grub sich ihre Hand in Isambours Nacken, und noch ehe die Blinde wusste, was ihr geschah, drückte Sophia sie auf den Boden, auf dass ihr nichts übrig blieb, als dort vor dem König zu knien.
    Gott gebe, dass sie nicht zu brüllen beginnt, dachte Sophia.
    Der König aber runzelte seine Stirne, sein Blick war stechend, und alle Damen des Hofstaats konnten ihn toben hören: »Was fällt Euch ein, ma Dame!«
    Einen Augenblick schien es, als würde jeder Laut verlöschen. Zwar erkannte das Volk nicht, was auf der Brüstung geschah, und setzte sein Jubeln fort, doch um das Königspaar wurde es ruhig, ja totenstill. Gar mancher schien das Atmen zu vergessen, erwartend, dass trotz des triumphalen Tages ein neues Fiasko folgen müsse.
    Schon warf man sich unruhige Blicke zu. Schon schien man sich mit Gesten sagen zu wollen: Er weist sie aufs Neue zurück. Er wird sie wieder fortschicken. Selbst dieser große Tag versöhnt ihn nicht mit dem verhassten Weibe.
    Selbst Frère Guérin wurde bleich ob des unerwarteten Ausbruchs.
    Erst nach einer Weile begriff er wie die anderen, dass des Königs strenger Blick nicht auf der knienden Isambour ruhte, sondern auf der noch stehenden Sophia. Dass jene den Hals reckte und ihm mitten ins Gesicht blickte, anstatt vor ihm zu fallen, war ihm ein viel größeres Ärgernis als die verstoßene, verbannte, wieder aufgenommene Gattin. Jene gewahrte er gar nicht – und verpasste solcherart den Moment, sie rüde abzuweisen.
    »Es lebe Königin Isambour!«, rief Sophia, kniete nun endlich auch ihrerseits nieder und hörte zufrieden, wie man ihre Worte erleichtert aufnahm, um den schlimmen Augenblick zu überbrücken.
    »Vivat Königin Isambour!«, schrieen die Menschen auf der Brüstung, und ihre Stimmen wurden über das Gelände hinweg verbreitet.
    »Vivat Philippus Augustus! Vivat Isambour!«
    Die Jubelrufe besänftigten ihn. Mit rot verschwitztem Gesicht bemerkte Philippe kaum, wie Sophia sich wieder erhob, die Königin an seine Seite führte und zusah, wie das Volk jubelnd die Hände hochriss.
    Jetzt erst bemerkte sie, dass der König ein neues Banner trug. Es war ein altes Motiv, hatte schon immer als persönliches Zeichen seiner Majestät gegolten, aber war niemals in einer Schlacht getragen worden. Seit Bouvines hatte sich das geändert: Galo von Montigny, ein armer Ritter, der seinen ganzen Besitz hatte verpfänden müssen, um sich ein Streitross zu kaufen, war mit der goldenen Lilie auf blauem Hintergrund in die Schlacht geritten – und fortan sollte die dornenlose Blume, die jetzo auf vielen Fahnen und Tüchern lustig im warmen Sommerwind flatterte, das Zeichen der französischen Könige bleiben.
    Isambour saß still an ihrem Platz. Ihre Hände waren verschränkt, in den Schoß versenkt und der Blick darauf gerichtet. Vor ihr stand die leere Platte, von der sie gegessen hatte – Lammfleisch, durchgebraten und in kleine Bissen zerteilt. Artig hatte sie die roten Stücke zwischen ihre blutleeren Lippen gesteckt, langsam gekaut und geschluckt. König Philippe aß nichts, trank nur aus seinem Kelch und beobachtete misstrauisch, was sein Weib trieb.
    Sophia, die sich immer noch nicht von Isambours Seite zu lösen wagte, sah den König sie mustern, als sei die einst Verhasste eine gänzlich Fremde, harmlos und nichtssagend, ein altes, weißes, runzeliges Weib, das weder Angst zeugen kann, noch Zorn, noch Hass.
    Wenige Vertraute saßen mit ihnen an der Tafel – einige

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