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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Kloster erneut eine Schenkung überreicht, doch weder das Gelübde noch die Schenkung verhalfen ihr dazu, den fortdauernden Hunger zu stillen. Sie litt daran, ganz gleich, ob sie in karger Fastenzeit lebten oder an nahrungsreichen Feiertagen, und Sophia fragte sich, ob sie die Gier noch immer stillte, indem sie die runde Griseldis bestach.
    Ihr Blick ging weiter – zu jener Bank, wo die älteren Nonnen saßen. Es fiel auf, dass zwischen ihrem und Dorotheas Alter und jenem derer, welche das Alter mit gichtigen Gliedern in Besitz zu nehmen beginnt, nicht viele zu erspähen waren. Eine Generation schien zu fehlen, nachdem die einzige, die ihr angehört hatte, nämlich Irmingard, von ihnen gegangen war.
    Wer würde als deren Nachfolgerin bestimmt werden und von welcher ließ sich Hilfe erwarten, auf dass sie sich einen Platz im Skriptorium zurück erstritte? Roswitha, welche die beste in der Buchmalerei war, wiewohl man ihrem Wesen zu wenig Ernsthaftigkeit nachsagte, weil sie andauernd kicherte? Bernharda, welche Kerzen goss und sich kürzlich bei Cordelis einer ebenso peinvollen wie schmählichen Operation unterzogen hatte, indem sie sich die Hämorrhoiden herausschneiden ließ? Oder Laurentia, die vor einer Woche noch behauptet hatte, vom Herrn Christus schwanger zu gehen, weil jener sich nachts zu ihr ins Bett legte?
    Sophia hatte vergessen, Cordelis zu fragen, wie ihr Gespräch nach der Untersuchung verlaufen war – und auch jetzt bekümmerte sie das Schicksal jener Nonne nicht.
    Eben begann nämlich die Mutter Äbtissin mit steifem Nacken und ebenso steifen Worten das Wichtigste zu verkünden.
    »Irmingard, unsere Schwester in Christus, ist von uns gegangen«, setzte sie an, »ich will euch nun mitteilen, wer ihr Amt übernehmen wird.«
    Griseldis’ Körper war weicher und dicker als einst, da sie ihn von Mechthild streicheln ließ. Unter den schweren Rundungen schwitzte sie – doch gerade dort, wo der Körper Falten warf, wünschte sie berührt und gestreichelt zu werden.
    Rohe Umarmungen wie im blutigen Schnee von einst waren ihr zu wenig.
    »Willst du Mechthilds Rang bei mir einnehmen«, erklärte sie Sophia, »so musst du mir mehr bieten als sie.«
    Sie lachte dreist, als würde der Ekel der anderen ihr nichts anhaben, sondern eigene Lust stärken – wiewohl sie, kaum dass diese schwand, oft wie ein Kind zu heulen begann. Dann klagte sie, dass sie für diese Sünden gewiss der Teufel holen werde und dass jener nur auf die Finsternis warte, um solcherart die unbeschützte Seele zu rauben. Die Angst vorm Dunkeln beherrschte ihr Gemüt noch besitzergreifender als früher und ließ sie – um sich dagegen zu wappnen und mit wohligen Erinnerungen zu wärmen – zu noch verboteneren Früchten greifen.
    Kurz nach dem Kapitel, da Irmingards Nachfolgerin genannt worden war, geschah es zum ersten Mal, dass Sophia ihr ihre Hand überließ und Griseldis jene über den eigenen Körper zog, um sie bei den festen, tief hängenden Brüsten am längsten verharren zu lassen.
    »Bitte, bitte lass mich das Skriptorium betreten – oder gar die Bibliothek, auf dass ich dort alle Bücher lesen kann, wie’s mir beliebt!«, hatte Sophia gefleht, nachdem die Äbtissin die uralte Gertrude zur Bibliothekarin bestimmt hatte. Es war gewiss keine schlechte Wahl, denn Gertrude hatte lange Jahre als Kopistin gedient und war beinahe so belesen wie Irmingard. Freilich war ihr hochbetagter Geist verwirrt: Wiewohl befähigt, das richtige Buch in der Bibliothek zu finden, mochte sie manches Mal nicht den Abend vom Morgen unterscheiden und verirrte sich auf dem Weg von ihrer Zelle zum Speisesaal. So war beschlossen worden, dass sie zwar die Bibliothekarin wäre – jedoch nicht Herrin über die Schlüssel, welche dorthin und zum Skriptorium führten. Am Bund der Cellerarin sollten jene verbleiben – die Gehilfin der Cellerarin aber war niemand anderes als die dicke Griseldis.
    »Es kommt darauf an«, erwiderte Griseldis stolz, »was du mir dafür zu bieten hast.«
    Sophia haderte mit der Wahl der Mutter Äbtissin. Warum erlangte Griseldis diesen zufälligen Vorteil und nicht etwa sie? Warum wurde der Schlüssel nicht Cordelis angetragen, da jene doch auch viele ihrer gefährlichen Arzneien unter Verschluss hielt?
    Toben hätte sie wollen, schreien und allen ihre Verbitterung ins Gesicht schlagen: Warum ließ man sie die Kranken pflegen, indessen eine Tumbe wie Griseldis Zugriff zum wertvollen Schlüssel und somit Zugang zu allen Büchern

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