Die Clans von Stratos
daß am Ende das Territorium des Gegners verwüstet war, während auf der eigenen Seite noch Oasen des ›Lebens‹ existierten.
Genau wie in der Natur nahm dieser Wettkampf gelegentlich brutale Formen an. Neben Gleitern und anderen eher freundlichen Formen, gab es auch sogenannte ›Freßwellen‹, die andere Muster einfach wegputzten, sich am Rand des Spielbretts brachen und ebenso raubgierig wieder aufs Spielfeld zurückschwappten. Noch ausgeklügeltere Formierungen ließen fast alle Muster ungeschoren, vernichteten aber alle anderen Freßwellen, die ihnen begegneten!
Schiffsbesatzungen und Gilden sammelten Techniken, Tricks und Daumenregeln und horteten sie über Generationen hinweg, aber die Strategie, wie man vor dem Spiel die Reihen auslegte, war noch immer eher eine Kunst als eine Wissenschaft. Oft waren am Schluß beide Teams verblüfft, was sie zustande gebracht hatten… und so rollten fast eine Stunde lang Muster vor und zurück, die keine der beiden Parteien erwartet hatten. Pattsituationen waren häufig. Im Sommer brachen gelegentlich Schlägereien aus, weil sich die Gegner gegenseitig des Mogelns bezichtigten, obwohl sich Maia überhaupt nicht vorstellen konnte, wie man bei diesem Spiel betrügen sollte.
Sie mußte zugeben, daß die grundlegende Einfachheit in Verbindung mit der komplexen, endlosen Variabilität der auftretenden Formen etwas Ästhetisches hatte. Als Kind hatte sie das Spiel faszinierend gefunden, aber irgendwie auch unheimlich. Manchmal hatte sie sogar den Mut aufgebracht, Fragen zu stellen, obwohl es eine Weile dauerte, bis sie die Neckereien und die Demütigungen überwunden hatte, die diese nach sich zogen – mehr von Gleichaltrigen als von Männern. Auf alle Fälle war sie mit vier Jahren zu demselben Schluß gekommen wie so viele andere Frauen auf Stratos.
Wozu das alles?
Sicher, die Formationen waren interessant, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Wurde dieser überschritten, konnte man die Leidenschaft, mit der die Männer sich dem Spiel widmeten, nur noch als symbolisch für den Abgrund sehen, der die Geschlechter voneinander trennte. Bei anderen Zeitvertreiben wie beispielsweise dem Kartenspielen sahen sich die Leute wenigstens gegenseitig an oder sprachen miteinander. Es war schwer zu verstehen, daß man kleine Plättchen – Gegenstände! – behandelte, als wären sie tatsächlich lebendig.
Doch hier saß Maia nun, im Gefängnis, ohne jemanden, den sie hätte ansehen oder mit dem sie hätte sprechen können, hatte alle verfügbaren Bücher ausgelesen und nichts weiter zu tun, als auf das aufgeklappte Spielbrett zu starren. Sie überlegte. Ich hab schon das eine oder andere versucht, was Mädchen für gewöhnlich nicht tun. Ich habe mich beispielsweise mit Navigation beschäftigt.
Doch das war einfach nur ungewöhnlich. Nichts Unerhörtes. Beim Spiel des Lebens war das anders. Falls es auf Stratos Frauen gab, die dieses Spiel jemals wirklich gemeistert hatten, waren sie mit einiger Sicherheit als Sonderlinge abgestempelt worden.
Na ja, lieber sonderbar als wahnsinnig, dachte Maia. Wut und Einsamkeit lauerten, stets bereit, sich auf sie zu stürzen, wie unwillkommene Verwandte, die beim geringsten Anzeichen einer Einladung hereinschneiten und nutzlose, unproduktive Tränen provozierten. Ich werde verrückt, wenn ich nicht bald eine Beschäftigung finde.
Das Spielbrett fühlte sich geschmeidig und glatt an. Es gab keine eigentlichen Spielsteine, statt dessen konnte man mit einem elektro-optischen Kontrollknopf in der Maschine selbst die kleinen weißen Felder dazu bringen, daß sie ebenholzschwarz wurden. Sehnsüchtig dachte Maia an das Klicken und Klacken, das sie von früheren Spielen kannte. Dieses System kam ihr dagegen kühl und distanziert vor.
Sehen wir mal, ob ich es hinkriege.
Ein paar kleine Lichter blinkten auf der Anzeige. Maia hatte keine Ahnung, was PROG SPE oder VOR.SPL.SPE. bedeutete. Aber das konnte sie später untersuchen, wenn sie erst einmal das unterste Niveau gemeistert hatte. Sobald sie die Maschine angestellt hatte, wurde die Hälfte der Spielfelder an den vier Seiten des Spielbretts schwarz, so daß ein schwarz-weiß-karierter Rand entstand. Maia erinnerte sich, daß dies eine von mehreren Möglichkeit war, das Problem der Seitenbegrenzung zu lösen – was zu tun war, wenn die Muster den Rand des Spielfelds erreichten.
Im Idealfall gab es gar keinen Rand, sondern eine unendliche Spielfläche, auf der die Muster sich entwickeln und
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