Die Clans von Stratos
sie stürzte auf den harten Steinboden neben dem Podium. Der Aufprall schmerzte höllisch in beiden Armen. Aber dann war Leie da, tröstete sie, half ihr auf, und Maia fühlte sich plötzlich sehr glücklich. Am Ende würden sie sich versöhnen. Sie sah ihrer Schwester in die Augen und fühlte sich erfrischt von der Liebe, die ihr von dort entgegenströmte.
Erfrischt? Tatsächlich spürte sie eine angenehme Kühle. Es war keine psychische, sondern eine starke physische Empfindung. »Merkt ihr das auch?« fragte sie ihre Zwillingsschwester. Verwundert nickte Leie.
»Was soll ich merken?« fragte der Navigator und hockte sich besorgt neben sie. »Wir müssen los! Sie rufen alle zusammen, damit…«
»Sei still!« zischte Leie. »Woher kommt das?« Sie begann herumzukriechen und nach dem Ursprung des kühlen Luftstroms zu forschen. »Hier ist es!«
Mit Hilfe des jungen Mannes folgte ihr Maia, denn inzwischen war es die einzige Quelle guter Luft. Sie schien aus einem Riß zu kommen, dort, wo das tonnenschwere Podium auf die halbkreisförmige Plattform stieß. Aus dem schmalen Spalt wehte eine leichte Brise, die sie ohne Maias Sturz nie bemerkt hätten.
Über ihnen ballte sich der Rauch zusammen. Die Schwaden bebten sichtbar, als mehrere Explosionen die Luft erschütterten. Die Männer auf dem Korridor gaben Schüsse ab, entweder, um einen Angriff abzuwehren oder einen eigenen vorzubereiten. »Lauf zu ihnen!« drängte Maia den Navigator. »Sorg dafür, daß sie noch eine Weile durchhalten!«
Ohne ein weiteres Wort war er auf den Beinen und verschwand. »Hilf mir hoch«, bat Maia ihre Schwester, obwohl es ihr vorkam, als müßte sie sich vom Leben selbst losreißen, wenn sie sich von dem Luftstrom entfernte. Hustend griffen sie beide nach dem Sextanten. »Ziel nach unten«, japste Maia, als Leie eine der Justierschrauben berührte. Es wurde immer schwerer, das Bild des düsteren Raums zu sehen, das auf der Wunderwand erschienen war. Als Leie den Sextanten bewegte, geriet es ins Wanken und sprang dann ein Stück nach oben. Sie sahen ein Stück nackten Felsen, leere Dunkelheit, ein Aufblitzen von Farben und wieder dunkles Felsgestein.
»Sag es nicht!« fauchte Leie, beugte sich vor und konzentrierte sich auf Daumen und Zeigefinger, obwohl sie am ganzen Körper zitterte. Maia staunte über die Energie ihrer Schwester. Ihr selbst war so übel, daß sie sich am liebsten zusammengekrümmt und übergeben hätte.
Die Bildwand zitterte und ruckte.
Wir müssen den Sextanten zerstören, wenn die Piraten durchbrechen, wiederholte Maia in Gedanken. Sie dürfen die Bilder nicht sehen… sie dürfen nicht wissen, daß die Wand lebendig werden kann.
Weitere Explosionen waren zu hören, gefolgt von lauten Schreien. War ein Kampf ausgebrochen? Falls ja, war selbst die Vorstellung der Szene, die sich da draußen abspielte, schon eine Sünde… Männer gegen Frauen… ein perkinitischer Propagandatraum, der Wirklichkeit geworden war. Tatsächlich aber hatte das Geschlecht fast gar nichts mit dem zu tun, worum es hier ging – hier kämpfte das Verbrechen gegen das Gesetz, der Ehrgeiz gegen die Ehre. Das Geschlecht war dabei rein zufällig, auch wenn die Legende womöglich etwas anderes behaupten würde, sollte sich die Kunde über die heutigen Ereignisse je verbreiten.
Wieder ruckte das Bild. Ein heller Keil erschien auf dem oberen Fünftel der Wand, so grell, daß es den Augen weh tat. Leie grunzte und versuchte es von neuem; der helle Fleck schoß nach unten, so daß jetzt die untere Hälfte der Wand strahlte.
Als Maia mühsam durch den Qualm blinzelte, entdeckte sie etwas, das sie nicht erwartet hatte. Es war nicht das simulierte Bild eines Raums, eines Saals, der irgendwo unterhalb des ihren lag, sondern eine abstrakte Anordnung von Rechtecken. Sie hoben sich vor einem leuchtenden Hintergrund ab und trugen deutlich sichtbare Symbole – eine Schneeflocke, ein Feuerpfeil und ein Segelschiff. Als Leie die Szene Stück für Stück bewegte, bis sie die ganze Wand ausfüllte, begannen die Kanten um jedes Rechteck herum zu pulsieren.
Ein roter Punkt erschien. Leie ließ ihn wandern. Im selben Augenblick zogen die Schwestern den naheliegenden Schluß.
»Ich nehme das Segelboot«, sagte Leie. Aber Maia rief: »Nein!« Sie hustete und schüttelte den Kopf. »Zu simpel… nimm den Pfeil.«
Hinter ihnen wurde das Geschrei immer lauter. Schüsse peitschten, man hörte lautes Kampfgeheul. Leie runzelte die Stirn, von der die
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